inneres Kind

Wie die Wiederverbindung mit dem inneren Kind alles verändert

Wenn wir uns selbst zu früh verlassen haben

Der Schriftsteller Erich Kästner prägte den traurigen Satz: „Die meisten Menschen legen ihre Kindheit irgendwann ab, wie einen alten Mantel.“ Er meinte damit, dass wir uns häufig viel zu gern und viel zu früh von unseren Kinderschuhen verabschieden, und das aus den verschiedensten Gründen. Einige müssen schnell erwachsen werden, weil die Umstände sie dazu zwingen. Wer keine schöne, harmonische Kindheit erleben durfte, wird dieser auch nicht nachtrauern, wenn die Chance endlich gekommen ist, ihr zu entfliehen. Wieder andere Kinder und Jugendliche können es ihrerseits kaum erwarten, endlich zu den Erwachsenen zu zählen und die vielen Beschränkungen, die das Kindsein mit sich bringt, hinter sich lassen zu können. Dass damit auch viele Freiheiten und sehr viele Glücksmomente verloren gehen, erkennen zu diesem Zeitpunkt die wenigsten. Zu früh das Kind in uns aus seinem Kindsein herauszureißen, kann sich später im Leben rächen. Wir werden unzufriedene Erwachsene, die ständig einen Mangel und inneren Hunger verspüren, und die nie zur Ruhe kommen. Wir jagen Zielen und Erfolgserlebnissen hinterher, die uns trotzdem nicht zufriedenstellen. Ein vorzeitiges Aus der Kindheit kann sich zu einem Puzzleteil entwickeln, das uns für den Rest unseres Lebens fehlen wird. Gut, dass es auch hier für eine Kurskorrektur nie zu spät ist. Wir zeigen dir hier Mittel und Wege, wie du dein inneres Kind wieder mit ins Boot holen und mit deinem erwachsenen Ich verbinden kannst:

1. Schluss mit den Lügen

Das Bonmot „Betrunkene und Kinder sagen die Wahrheit“ sollten wir uns als ernste Erwachsene viel stärker zum Vorbild nehmen. Nicht, was das Trinken anbelangt, sondern was die Wahrheitsliebe betrifft. Wir Menschen können manchmal gar nicht anders, als zu lügen. In vielen Fällen allerdings wäre die Wahrheit durchaus eine zumutbare Angelegenheit. Wir sind meistens nur zu bequem und zu harmoniebedürftig dafür. Schneller und einfacher haben wir Ausreden und Flunkereien bei der Hand, die uns vor Ungemach jeglicher Art bewahren. Tatsächlich aber können wir uns jede Lüge wie einen Nadelstich in unsere Seele vorstellen. Wir verletzen nicht nur andere Menschen damit, wir schaden uns selbst am meisten. Versuche, dein inneres Kind mehr zu mobilisieren, wenn du im Zwiespalt zwischen Wahrheit und Lüge gefangen bist. Lass das Kind ruhig öfter gewinnen. Die Menschen in deinem Umfeld werden wahrscheinlich erst einmal schlucken und sich auf die neue Art der Kommunikation einstellen müssen. Früher oder später aber wird sich die neue Ära der Ehrlichkeit für alle Beteiligten auszahlen. Mit den kurzen Beinchen unserer Lügen kommen wir ohnehin nie sehr weit.

2. Hinterfrage alles, was du nicht verstehst

Warum? Wieso? Weshalb? Wer die typische Unterhaltung mit neugierigen Kindern anstrengend findet, sollte sich einmal die Lethargie eines Daseins vor Augen führen, das alles für bare Münze nimmt. Wer sich den täglichen Wundern und Skurrilitäten, die das Leben uns zu bieten hat, nicht mehr voller Interesse hingeben kann, dessen Funke ist vermutlich erloschen. Kinder wollen die Welt verstehen. Wir Erwachsenen hingegen gehen oft bewusst mit Scheuklappen hindurch, weil wir fürchten, unangenehme Erkenntnisse gewinnen zu müssen. Doch gerade das Hinterfragen ist so wichtig für unser Vorwärtskommen. Wer einfach nur konsumiert, statt zu leben, wird so vieles verpassen, das er noch entdecken könnte. Existieren wir bloß oder leben wir schon? Gesellschaftliche Normen, Nachrichten, das Internet, die Reden von Politiker*innen und jedes Werbeversprechen: Wir sollten ALLES viel stärker hinterfragen. Nicht viel von dem, was wir täglich als Wahrheit serviert bekommen, würde den Lakmustest bestehen. Auch auf die Gefahr hin, dass du dein Umfeld und alle Menschen darin in Zukunft ein wenig an den Rand des Wahnsinns treibst, aber: Fragen lohnt sich. Nur wer fragt, kann Antworten erhalten und seinen Horizont erweitern. Dein inneres Kind wird sich freuen und dir jedes Mal begeistert applaudieren, wenn du es wieder einmal geschafft hast, jemandem ein „Ich weiß es nicht“ abzuringen. Gut gemacht! Nur so kommen wir wissenstechnisch weiter. Nur so können wir wirklich etwas lernen. Und Wissen gibt es mehr als genug.

3. Sei offen für Neues

Wann hast du das letzte Mal eine neue Speise ausprobiert? Ein Musikstück angehört, das eigentlich so gar nicht deinem Geschmack entspricht? Ein neues Hobby ausprobiert? Oder einen Ort besucht, an dem du noch nie im Leben warst? Kinder begehen solche Abenteuer jeden Tag. Sie bauen Burgen, basteln sich Fahrzeuge aus Kartons und leben in ihrer Fantasiewelt jeden Tag mindestens ein neues Leben. Wir Erwachsenen sind irgendwann Gefangene unserer Routine. Und diese ist – wie Paulo Coelho einmal so eindrucksvoll festhielt – im Gegensatz zum Abenteuer wahrhaft tödlich. Wenn du dich stärker mit dem Kind in dir verbinden möchtest, begib dich in regelmäßigen Abständen auf Neuland. Diese Mikro-Unternehmungen können in kleinen Schritten beginnen. Wichtig ist, dass du kontinuierlich daran arbeitest, deinen Horizont zu erweitern und dein Feststecken im Hamsterrad erfolgreich zu durchbrechen.

4. Biete deiner Kreativität Raum und Zeit

Das Basteln, Malen und kreative Gestalten ist nicht umsonst ein wichtiger Teil in der kindlichen Entwicklung. Je stärker wir uns hier austoben dürfen, desto besser kann sich unser räumliches Vorstellungsvermögen entfalten und mit ihm – man höre und staune – auch unsere Problemlösungskompetenz. Wer nun denkt, dass mit dem Ende der Kindheit dieser Zug abgefahren ist, irrt sich gewaltig. Es ist nie zu spät, um sein kreatives Potenzial von der Leine zu lassen. Wahrscheinlich erstaunt es dich sogar, wie ausgehungert deine Muse ist und jetzt nur darauf wartet, dich endlich ganz ausgiebig küssen zu dürfen. Es spielt keine Rolle, für welche Ausdrucksform du dich entscheidest. Auch Kochen zum Beispiel kann sehr viel gestalterisches Potenzial in uns freisetzen. Es müssen nicht nur die schönen Künste sein, auch wenn sich ein Versuch in diese Richtung garantiert lohnen wird.

5. Übe dich im Vergessen und Verzeihen

Wie schnell streiten sich Kinder, und wie schnell versöhnen sie sich wieder? Nach einem kurzen, aber vielleicht sogar heftigen Disput um die letzte rote Schaufel im Sandkasten wird wieder fröhlich weitergespielt, häufig noch mit den deutlich sichtbaren Spuren von Zornestränen auf den Wangen. Wahrscheinlich ist dieser einfach gestrickte Umgang mit Konflikten der Hauptgrund dafür, warum wir uns als Erwachsene mit dem Schließen von Freundschaften so schwertun. Wir können nicht mehr so leicht darüber hinwegsehen, wenn uns jemand enttäuscht oder verletzt hat. Doch müssen wir die Dinge wirklich immer so schwernehmen, wenn im zwischenmenschlichen Bereich einmal etwas entgleist? Reicht es nicht, eine Entschuldigung anzunehmen und nach vorn zu blicken? Eine Überlegung zu diesem Punkt lohnt sich auf jeden Fall. Dein inneres Kind wird dir hier ganz sicher zustimmen.

Fazit: Nimm dich selbst an die Hand

Wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Eine Kindheit ist leider ein einmaliges Angebot, für das es keine zweite Chance gibt. Egal aus welchen Gründen: Wenn sie vorbei ist, kommt sie nie wieder, und wir müssen uns dann mehr schlecht als recht durch unser Erwachsenenleben kämpfen. Wer ausgiebig Kind sein durfte und das auch genießen konnte, hat einen unbezahlbaren Startvorteil für sein Leben mitbekommen. Wer hier bedauerlicherweise nicht so privilegiert war, kann einige Fehlzeiten nachholen. Ein offener Geist und ein nicht komplett verschlossenes Herz allerdings sind die Voraussetzungen dafür.

https://www.healthline.com/health/mental-health/inner-child-healing