Was Introvertierte denken

Was Introvertierte denken, aber nie sagen

Wie gut, dass Gedankenlesen kein Breitensport ist

Was Introvertierte denken: Die Gedanken sind frei – gottseidank, möchte man meinen! Auch den Introvertierten spukt so einiges im Kopf herum, das sicher nicht für die Ohren ihrer Mitmenschen bestimmt ist. Sie stehen ja generell in dem Ruf, die stillen Wasser zu sein, die mit so manchen Untiefen zu überraschen wissen. Wir haben uns ein wenig umgehört in den Köpfen der Stillen und Zurückgezogenen. Was sie sich an manchen Tagen so denken, verraten wir dir hier:

1. Wie lange funktioniert „mein Telefon ist kaputt“ noch?

Willst du einen introvertierten Menschen schockieren, dann ruf ihn einfach an, am besten mehrmals hintereinander. Für Leute wie sie wurden nämlich die SMS und andere Textnachrichten erfunden. Das Telefonieren liegt ihnen aus einem ganz bestimmten Grund nicht: Sie wären in dem Moment, wo das Telefon klingelt, zum Handeln gezwungen. Man erwartet von ihnen, abzunehmen und ein Gespräch zu führen, sowie Entscheidungen in Echtzeit zu treffen, ohne erst lange und gründlich darüber nachdenken zu können. Sie haben es sich daher angewöhnt, das Telefon einfach klingeln zu lassen und erst einmal abzuwarten. Einige rufen später zurück, wenn sie sich ausreichend gewappnet und mental gestärkt haben. Wieder andere verfolgen die Vogel-Strauß-Taktik und hoffen, dass der Anruf nicht wichtig war. Falls doch, und sie darauf angesprochen werden, muss die liebe Technik als Alibi herhalten. Von „Handy kaputt“ über „kein Empfang“ bis hin zu „ich praktiziere digitales Detox“ sind sie um keine Ausrede verlegen. 

2. Vielleicht sagt jemand ab, dann muss ich es nicht tun

Das schönste Geschenk, das man Introvertierten machen kann, ist eine Verabredung zu stornieren. Wer schon immer wissen wollte, wovon die Stillen unter uns tagsüber träumen: Statt Liebe und Romantik spielen gecancelte Termine und abgesagte Treffen mit Freunden und Familie darin die Hauptrolle. Kaum etwas ist den Ruhigen mehr zuwider, als sich von gesellschaftlichen Verpflichtungen vereinnahmen zu lassen. Sie umschiffen diese ganzjährig großräumig, nur manchmal lässt sich so ein soziales Miteinander eben nicht vermeiden. Bis zu diesem Pflichttermin – und etwas anderes ist es für sie nicht – hoffen sie inständig, dass sich jemand als gnädig erweist und sie von dieser Strafe erlöst. 

3. Hoffentlich muss ich nicht viel reden

Dieser Satz schwirrt den Introvertierten mehr oder weniger ständig durch ihren Kopf. Sie sind bereitwillige Zuhörer und beherrschen diese Kunst auch perfekt. Nur selbst aktiv etwas zu einem Gespräch beizutragen, widerstrebt ihnen zutiefst. Dabei sind es gar nicht Schüchternheit oder Selbstzweifel, die sie daran hindern. Es ist ihnen vielmehr zu mühsam, sich immer etwas Adäquates ausdenken zu müssen, das niemanden vor den Kopf stößt, politisch korrekt ist und für kein lästiges Nachfragen sorgt. Außerdem können Introvertierte es auf den Tod nicht leiden, im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen. Und wer das Wort hat, hat bekanntlich die volle Aufmerksamkeit. Sie werden niemals zu den begnadeten Rednern zählen oder als Alleinunterhalter einen ganzen Abend bestreiten. Allein die Vorstellung davon, vor einer Gruppe von Menschen sprechen zu müssen, verursacht ihnen Unbehagen und ein leichtes Gefühl von Panik. Die Klugen machen aus dieser Not eine Tugend. Sie eignen sich schon früh die Technik des aktiven Zuhörens an. Geschickt stellen sie Fragen, die in die Tiefe der Materie vordringen, ohne jedoch indiskret zu sein. Sie merken sich Details aus früheren Unterhaltungen, an welche sie zu einem späteren Zeitpunkt wieder souverän anknüpfen können. Das erspart ihn lästiges Sprechen, macht sie zu gern gesehenen Gästen auf jeder Veranstaltung und verschafft ihnen außerdem so ganz nebenbei reichlich Sympathiepunkte.

4. Die denken bestimmt, ich bin langweilig und uninteressant 

Mit Selbstzweifeln und Skepsis sparen Introvertierte nicht, im Gegenteil. Wer wenig redet, hat automatisch mehr Zeit zum Nachdenken. So kommt es natürlich, dass das Bild, das man nach außen trägt, permanent hinterfragt wird. Alle Menschen machen das, doch die Stillen haben einfach wesentlich mehr Ressourcen dafür zur Verfügung. Und wen wundert es, dass sie den Eindruck bekommen, im Vergleich zu den eloquenten und charismatischen Salonlöwen und Party-Crashern die Langeweile in Person zu sein? Dabei kann ein stiller Charakter das genaue Gegenteil bewirken. Wer sich nicht allzu leicht in die Karten blicken lässt, wirkt durchaus mysteriös und geheimnisvoll. Allerdings funktioniert dieser Umkehrschluss in unserer heutigen lauten und sehr schnelllebigen Zeit nicht mehr so gut wie früher. Das Problem dabei: Kaum jemand nimmt sich mehr die Zeit, eine andere Person ohne Vorbehalte kennenzulernen. Wir konsumieren zwischenmenschliche Kontakte wie Schnupftabak, anstatt ihnen eine echte und faire Chance zu geben.

5. Ich möchte nicht hingehen, aber ich will eingeladen werden

Zu guter Letzt stellen wir dir den wohl skurrilsten Gedankengang der Introvertierten vor, der zeitgleich auch ein wenig das Dilemma aufzeigt, in welchem die meisten von ihnen sich zeitlebens befinden. So sehr sie jede Einladung auch in Stress und Panik versetzen würde: Gar nicht erst eingeladen zu werden, passt ihrem Ego auch nicht. Selbst wenn sie davon ausgehen, dass die Gastgeber um ihre Scheu vor anderen Menschen wissen und ihnen so vielleicht einen Gefallen erweisen wollten, sehen sie darin Zurückweisung und Ablehnung. Man muss diesen Gedankengang nicht verstehen, aber er ist keine Erfindung, sondern entstammt direkt dem schrägen Kosmos, dem das Gehirn eines Menschen gleicht, der viel Zeit zum Nachdenken hat. Introvertierte sitzen zeitlebens zwischen den Stühlen, wenn es um das Zwischenmenschliche geht. Sie wollen natürlich nicht außen vor bleiben. Gleichzeitig ist das Abseits die einzige Position am Spielfeld des Lebens, auf der sie sich wohlfühlen. Zwei gegnerische Mannschaften kämpfen dann in ihnen: Die Angst davor, nicht dazuzugehören ist mindestens gleich groß wie jene, dazugehören zu müssen.

Fazit: Denken und denken lassen

Die Freiheit der Gedanken ist erfreulicherweise ein Recht, das uns niemand absprechen kann. Kaum ein Mensch wäre begeistert davon, wenn Telepathie plötzlich keine Theorie mehr wäre. Introvertierte haben mehr Zeit, um sich so ihre eigene Welt im Kopf zusammenzubauen, als andere Menschen. Ihr Gehirn arbeitet ständig auf Hochtouren, und sie profitieren durchaus von diesem Vorgang. Dass bei so vielen bunten Bildern im Kopf auch das eine oder andere dabei ist, das „normale“ Menschen als schräg bezeichnen würden, verwundert daher nicht. Doch wie immer gilt: Leben und leben lassen, auch beim Denken. 

https://psych2go.net/5-things-introverts-think-but-never-say/