Jede Fassade bröckelt mit der Zeit
Narzissten im Alter: Eines der wenigen Dinge, die Narzisst*innen fürchten, wie der Leibhaftige das Weihwasser, ist der Tod. Sei es, weil er ihnen ihre eigene Ohnmacht vor Augen führt, oder sie am Ende ihres Lebens doch noch lehrt, dass sie nicht über anderen Menschen stehen: Der Gedanke an den Tod ist der blanke Horror für jeden gewieften Strippenzieher. Dem Tod voraus geht üblicherweise das hohe Alter. Wir alle entwickeln uns in diesem Lebensabschnitt noch einmal, jedoch nicht zwangsläufig zum Besseren. Manche Menschen reifen im Alter wie guter Wein und lernen, dass das Kämpfen und Ränkeschmieden sie nicht weiterbringt. Einige erfahren sogar wahrhaft erleuchtende Erkenntnisse, wie zum Beispiel jene, dass das eigene Leben nicht leichter wird, indem man es anderen schwerer macht. Ein handverlesener Narzisst – egal, ob Mann oder Frau – hat es mit dem Älterwerden nicht leicht. Seine Strahlkraft lässt nach, seine Magie büßt an Macht ein. Das einstmals makellos gepflegte Äußere wird zur Dauer-Baustelle und das Gedächtnis lässt nach, was das Erzählen von Märchen und Lügengeschichten zunehmend schwieriger macht. Das Altern ist – gemäß Mae West – an sich schon nichts für Feiglinge. Doch Narzisst*innen bilden einen Personenkreis, der wirklich keinen Grund hat, sich darauf zu freuen. Die wichtigsten Schwachstellen, mit denen sie am Ende ihres Lebens zu rechnen haben, stellen wir dir hier vor:
1. Narzisst*innen altern einsam
Angesichts ihrer lebenslangen Schwäche dafür, ihr Umfeld nach allen Regeln der Kunst über die Klinge springen zu lassen und zu manipulieren, ist diese Erkenntnis kein Wunder. Viele Ehen von Narzisst*innen scheitern, auch nach langen Jahren der gemeinsam zugebrachten Zeit. Sowohl Frauen als auch Männer ergreifen irgendwann die Chance, um sich aus diesem teuflischen Spinnennetz zu befreien. Zurück bleibt jener Teil des einstmals Ganzen, der diesen Schlag nur schwer verkraften kann. Nicht, dass sich Gefühle regen würden. Narzisst*innen betrachten das Verlassenwerden als Schmach und Niederlage. Was tatsächlich verletzt ist, sind ihr Stolz und ihr überbordendes Ego. Studien zeigen, dass Narzisst*innen auch kaum jemals in der Lage sind, eine harmonische Beziehung oder gar Ehe einzugehen. Sie landen im überwiegenden Teil der Fälle in toxischen und instabilen Beziehungen. Noch bevor sie in die mittleren Jahre kommen, lassen sie sich mit hoher Wahrscheinlichkeit scheiden. Außerdem haben Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen weniger Kinder. Diese beiden Faktoren öffnen einem Narzissten im Alter in Einsamkeit natürlich Tür und Tor. Ironie am Rande: Narzisst*innen erfreuen sich überdurchschnittlich guter Gesundheit. Das bedeutet: Die Phase des langen und qualvollen Daseins in Einsamkeit und Isolation dauert bedeutend länger für sie.
2. Manche narzisstischen Persönlichkeitsmerkmale nehmen ab
Es gibt Personen, die im Alter weniger narzisstische Tendenzen zeigen als in jungen Jahren. Die Eitelkeit etwa nimmt sukzessive ab. Auch der ständige Drang, alles und jeden kontrollieren zu wollen, scheint einige dieser Provokateure mit den Jahren nur mehr zu ermüden. Wo sich hingegen keine signifikante Abnahme erkennen lässt, ist das Führungsverhalten von narzisstischen Vorgesetzten. Diese halten auch in den mittleren und späteren Jahren an ihrem diktatorischen Führungsstil fest.
3. Endstation Demenz
Bei Narzissten im Alter ist die Wahrscheinlichkeit um satte 80 Prozent höher, an Demenz zu erkranken, als beim Rest der Bevölkerung. Diese Zahl sollte allfällig Betroffenen zu denken geben. Leider ist Demenz nach wie vor ein gesundheitliches Feld, das noch bei weitem nicht zufriedenstellend erforscht wurde. Interessant wäre es allemal zu wissen, warum ausgerechnet die einstmals perfiden, psychopathischen Taschenspieler unter unseren Zeitgenoss*innen der Demenz anheimfallen.
4. Selbstmordgedanken häufen sich
Da sich Narzissten im Alter nicht mehr jene Selbstbefriedigung verschaffen können, sich über andere zu stellen und das eigene Ego zu überhöhen, bleiben sie mit leeren Händen zurück. Die Einsamkeit und Isolation tragen dann noch das Ihrige dazu bei, dass Narzisst*innen in der zweiten Lebenshälfte vermehrt an Suizid denken. Diese Lösung erscheint ihnen vermutlich als der einfachere Weg, als jeden Tag dabei zusehen zu müssen, wie ihr Ansehen schwindet und ihre Einflussnahme auf ihre Umgebung sich Stück für Stück in Luft auflöst.
5. Verletzliche Seiten zeigen sich
Selten, aber doch kommt es vor, dass selbst abgebrühte Narzisst*innen im Alter ihre verletzlichen Seiten offenbaren. In einer Gesellschaft, in der Erfolg mit Jugend und Vitalität gleichzusetzen ist, hat selbst das aufgeblähte Ego eines erprobten Narzissten Mühe, sich diese Entwicklung noch schönzureden. Die Dinge entgleiten ihnen vielmehr mit jedem Tag. Da ihr Selbstbewusstsein zum Großteil auf dem Applaus ihrer Umgebung beruht, ist es nicht authentisch. Narzisst*innen brauchen immer die Bestätigung von außen, um sich mit ihrem Inneren im Einklang zu fühlen. Fehlt Narzissten im Alter diese Huldigung, empfinden sie dies wie einen leergewordenen Tank, der sie nicht mehr weiterbringt.
6. Was tun, wenn ein Elternteil Narzisst*in ist?
Die Pflege und Betreuung der eigenen Angehörigen im Alter stellen viele von uns unter normalen Voraussetzungen schon vor große Hürden. Während Kinderbetreuung gesellschaftlich anerkannt ist, scheint das Kümmern um die ältere Generation noch immer eine lästige Pflicht zu sein, die man am besten an Dritte delegiert. Wer sich seiner Verantwortung aber stellt, hat es mit einem narzisstisch geprägten Elternteil im Alter besonders schwer. Zum einen sind aus der Zeit der Kindheit und Jugend mit Sicherheit Wunden zurückgeblieben. Narzisstische Eltern schaffen es kaum jemals, ihre Kinder gänzlich unbeschadet ins Erwachsenenleben zu entlassen. Auf die Phase der Befreiung und Selbstbestimmung folgt dann die Umkehr der Rollen. Mutter oder Vater werden zum Kind, um das das einstige verletzte und manipulierte Kind sich nun kümmern muss. Außerdem darf man nicht glauben, dass die geschickten Psychospielchen mit dem Alter weniger werden. Narzisst*innen bauen vielleicht mental und körperlich ab, aber ihre Vorliebe dafür, ihr Umfeld wie Marionetten an unsichtbaren Fäden tanzen zu lassen, stirbt zuletzt. Für die betreuenden Kinder bedeutet dies: Grenzen setzen und sich der Gefahr bewusst sein, die auch im Alter noch von den Blendern ausgeht. Notfalls muss die Eigenliebe siegen. Wir schulden unseren Eltern zwar so einiges, die völlige Selbstaufgabe jedoch nicht.
7. Das innere Kind manifestiert sich
Das geistige Alter von Narzisst*innen in der Blütezeit ihres umtriebigen Lebens beläuft sich Schätzungen zufolge auf 7 bis 8 Jahre. Sie weisen also die mentale Reife eines Volksschulkindes auf, während sie als Erwachsene leitende Positionen innehaben und auch weltpolitisch nicht selten an den Hebeln sitzen. Das innere Kind kommt im Alter bei vielen Menschen zum Vorschein. Einige können diese Entwicklung nutzen, um endlich Frieden mit sich und ihrer Umgebung zu schließen. Narzisst*innen hingegen manifestieren ihr inneres Kind erst recht und muten ihrer Umgebung die volle Härte dieser Dynamik zu.
Fazit: Karma oder Lauf des Lebens?
Ende gut, alles gut, gilt nicht für Narzisst*innen. Angesichts dieser Faktenlage könnte man tatsächlich an Karma denken, welches diese einstmals unbarmherzigen Puppenspieler*innen im Alter gnadenlos einholt. Natürlich sind die erwähnten Punkte aber nichts Außergewöhnliches. Sie alle können auch Menschen ereilen, die ihr Leben lang fürsorglich und liebenswert waren. Doch Narzisst*innen trifft es besonders hart. Vor allem die grassierende Besessenheit unserer Gesellschaft von Jugend und Schönheit lassen das Älterwerden für sie immer noch früher beginnen und zu einem echten Drahtseilakt mutieren. Generell ist das Altern ein Spiel ohne Regeln. Es holt uns alle ein, aber wir wissen leider bis zum Schluss nicht, ob wir uns letztendlich daran erfreuen dürfen, oder es fürchten sollten.