Wie man eine missbräuchliche Beziehung verlässt

Im Sog von Zuckerbrot und Peitsche

Eine missbräuchliche Beziehung kann viele Gestalten annehmen. Sie kann zwischen Eltern und Kindern, aktuellen oder Ex-Partner*innen stattfinden oder im Rahmen einer Obsorge- oder Pflegebeziehung, wie es sie in Erziehungs-, Pflege- oder Altersheimen gibt. Die meisten Formen von psychischem, sexuellem und gewalttätigen Missbrauch finden jedoch in Ehe und Partnerschaft statt. Die Ebenen, auf welchen die Übergriffe sich abspielen, sind vielfältig und gehen meist miteinander Hand in Hand. Neben den verbalen und körperlichen Attacken ist häufig Isolation von der Außenwelt im Spiel, finanzielle Abhängigkeit und eine Überwachung via Smartphone und Internet. Den Betroffenen einfach zu sagen „Dann geh doch!“ ist sehr viel einfacher, als sich dieser Weg in der Praxis gestaltet. Oft wurden sie schon seit Jahren von ihrem Umfeld abgeschnitten und isoliert, sodass diese spontan nicht einmal jemanden wüssten, den sie noch um Hilfe bitten könnten. Neben der emotionalen Abhängigkeit spielt auch die finanzielle eine große Rolle, von der Möglichkeit einer Unterkunft ganz zu schweigen. Dennoch schaffen es gottseidank immer wieder Menschen, ihrem Martyrium zu entkommen. Der Weg ist kein leichter, aber er kann gelingen. Wir zeigen dir die wichtigsten Schritte:

1. Gestehe dir selbst die Wahrheit ein

Missbräuchliche Beziehungen sind nicht nur von Gewalt, sondern auch von geschickter Manipulation geprägt. Sadistische Partner*innen verstehen es ganz hervorragend, uns dem Wechselspiel von Aggression und vorgetäuschter Zuwendung auszusetzen. Die Betroffenen wissen irgendwann selbst nicht mehr, ob sie sich den Missbrauch nur einbilden, zu „empfindlich“ sind oder beginnen, an ihrem Verstand zu zweifeln. Wenn du jedoch endlich an dem Punkt angelangt bist, wo du die traurige Realität erkennst, hast du den ersten Schritt in Richtung Freiheit schon getätigt.

2. Setze deine nächsten Schritte planvoll 

Deine Sicherheit geht nun vor. Du darfst mit einem missbräuchlichen Partner auf keinen Fall darüber „diskutieren“, dass du vorhast, ihn zu verlassen. Dies ist in vielen Beziehungen leider immer der Punkt, wo die Lage endgültig eskaliert. Bevor manipulative Männer ihre Frauen gehen lassen würden, ziehen sie eher ein Gewaltverbrechen in Erwägung. Wie die traurige Statistik zeigt, bleibt es nicht beim bloßen Gedanken daran. Frauen hingegen, denen das Verlassenwerden durch ihr jahreslanges Opfer bevorsteht, drohen mit Selbstmord oder werden nicht selten ebenfalls aggressiv. Du gefährdest mit einer Ankündigung deiner Flucht definitiv dein Leben, vergiss das nicht. Versuche, dir einen Überblick über deinen Finanzen zu machen. Trete in Kontakt mit vertrauenswürdigen Familienmitgliedern oder Freunden oder hole dir notfalls Hilfe bei entsprechenden Einrichtungen. Achte darauf, dass deine Vorhaben keine digitalen Spuren hinterlassen. Missbräuchliche Partner*innen überwachen den Browser-Verlauf und das Smartphone ihrer Opfer. Suche unauffällig wichtige Dokumente zusammen und überlege dir, was du mitnehmen kannst. Besorge dir ein neues Handy und entsorge das alte so schnell wie möglich. Je weniger Kontakt du deiner Vergangenheit ermöglichst, desto weniger gelingt es ihr, dich wieder einzuholen. 

3. Gehe schnell und leise

Es bringt nichts, an Beziehungen unbedingt festhalten zu wollen, die dich psychisch und physisch an den Rand des Erträglichen gebracht haben. Überleg dir für den Zeitpunkt deines Fortgangs einen Moment, wo du sicher allein in der Wohnung bist und keine unschönen Überraschungsbesuche drohen können. Nimm die wichtigen Dokumente mit und ansonsten leichtes Gepäck. Dinge sind ersetzbar, dein Leben ist es nicht. Den perfekten Zeitpunkt für eine Flucht gibt es übrigens nicht. Es gilt lediglich: Je eher, desto besser.

4. Such dir Hilfe

Die erste und wichtigste neue Adresse für dich ist eine sichere Unterkunft. Wenn möglich, wende dich an Familie und Freunde, da du gerade in der ersten Zeit dringend Ansprache und Unterstützung brauchst. Sollte dein Ex-Partner dich finden, ist es ebenfalls essenziell, dass du nicht allein bist. Sollest du in Versuchung geraten, mit ihm sprechen zu wollen, ist es ratsam, wenn jemand dich davon abbringt und gegebenenfalls die Polizei einschaltet. Sind Familie und Freunde keine Option für dich, gibt es zahlreiche Anlaufstellen für Opfer häuslicher Gewalt, die schnell und unbürokratisch für eine Bleibe sorgen und dich mit dem Nötigsten versorgen. Denke vorher aber unbedingt daran, dein altes Handy zu entsorgen. Ein Smartphone orten kann jede und jeder, und dein Ex-Partner findet dich möglicherweise schneller, als du in Sicherheit sein kannst. Bist du gut untergebracht, ist professionelle Hilfe unbedingt der nächste wichtige Schritt für dich. Den jahrelangen Terror einer toxischen Beziehung kann kein Mensch allein bewältigen.

5. Geh nicht dorthin zurück, wo du gebrochen wurdest

Das Schlimmste an missbräuchlichen Beziehungen ist die emotionale Abhängigkeit, die aus ihnen resultiert. Jahrelang funktioniert das Wechselbad der Gefühle wie ein unsichtbares Bindeglied zwischen Täter und Opfer. Je nachdem, wie geschickt die Täter ihren Partner*innen den Verstand getrübt und den freien Willen geraubt haben, kann diese Bindung auch noch lange nach der Trennung andauern. Einer jahrelangen Gehirnwäsche entkommt man nicht innerhalb weniger Tage oder Wochen. Ist deine Flucht also geglückt, lautet die wichtigste Regel für dich: Bleib auf Abstand zu ihm oder ihr, und zwar ausnahmslos. Es gibt NICHTS mehr zu sagen! Du wirst farbenfrohe Versprechungen und einzigartige Treue- und Liebesschwüre hören, die wahlweise abwechselnd mit Beschimpfungen einhergehen. Du wirst angebettelt und bedroht werden, er oder sie wird sämtliche Register der Manipulation ziehen, um dich wieder zurück in dein Gefängnis zu verfrachten, wo exakt derselbe Terror auf dich warten wird, dem du eigentlich schon erfolgreich entflohen bist. Jemand, der dich geschlagen, missbraucht, isoliert und gedemütigt hat, ist niemals vertrauenswürdig und wird sich auch niemals zum Besseren ändern. 

6. Kein Glorifizieren der Vergangenheit

Der Mensch neigt leider häufig dazu, schlechte Erfahrungen und traumatische Erlebnisse zu verdrängen. Dieser Mechanismus dient eigentlich dem Blick nach vorne und sollte einen Neustart ermöglichen. Der getrübte Blick zurück auf eine geschönte Vergangenheit hingegen liefert uns ein Zerrbild, das nicht hilfreich für die Aufarbeitung ist. So schmerzlich dieser Prozess für dich auch sein mag: Schreib dir die schlimmen Erlebnisse von der Seele. Neben einem ersten Schritt in Richtung Heilung dient dieses Horror-Tagebuch dazu, dass du nicht irgendwann falschen Erinnerungen anheimfällst und erneut zum Opfer wirst.

Missbrauch beginnt mit Worten

Die Taten sind meist nur das Ende vom Lied. Wenn sich in Beziehungen ein Verhalten abzuzeichnen beginnt, das dir Unwohlsein und ein Gefühl der Geringschätzung und Minderwertigkeit beschert, sind dies erste Alarmzeichen dafür, dass du in dieser Partnerschaft kein echter Partner bist. Der Beziehungs-Himmel hängt nicht immer voller Geigen. Respekt und Achtung müssen aber immer gegeben sein. Beleidigungen, Demütigungen und ständige Kritik sind keine Zeichen von Aufmerksamkeit. Deine bessere Hälfte sollte es gut mit dir meinen, und dich nicht schlecht behandeln. Ebenfalls höchste Alarmstufe ist geboten, wenn deine Familie und Freunde ständige Zielscheiben von Kritik sind. So beginnt der Mechanismus der Isolation häufig. Als nächstes werden Treffen mit ihnen sabotiert und du stehst irgendwann ohne soziales Umfeld dar. Missbräuchliches Verhalten beginnt, indem deine Grenzen in kleinen Schritten übertreten werden. Diese Vorgänge sind leider fließend, da wir gerade zu Beginn einer neuen Liebe noch alles durch die rosarote Brille sehen. Das düstere Erwachen zeichnet sich leider erst später ab. Für schlechte Beziehungen gilt wie für alles Schlechte: Ein Ende mit Schrecken ist einem Schrecken ohne Ende immer vorzuziehen.