emotionale Vernachlässigung

Wie emotionale Vernachlässigung in der Kindheit dich zerstört

Wenn deine Seele hungrig bleibt

Die erste Beziehung unseres Lebens pflegen wir zu unserer Mutter. So hat es die Natur vorgesehen, und so wird das wahrscheinlich auch noch Millionen von Jahre bleiben. Während sich die Sache mit der Kindererziehung inzwischen zu einer halbwegs gleichberechtigten Aufgabe von Mutter und Vater entwickelt hat, bedeutet dies leider nicht, dass allen Kindern nun automatisch eine bessere Kindheit beschert wird. Es gibt Kinder, die in größter Armut aufwachsen müssen, aber glücklich und beschützt, geliebt und beachtet werden. Wieder andere wachsen in Reichtum und Wohlstand auf, haben aber die soziale Isolation von Kindesbeinen an gepachtet. Liebe und Wertschätzung der Eltern sind wahrscheinlich die wichtigsten Zutaten für eine geglückte Kindheit. Fehlen sie, leiden diese Kinder auch als Erwachsene noch unter seelischen und emotionalen Mangelerscheinungen. Manche Menschen stecken dieses Defizit besser weg als andere. Sie finden Mittel und Weg und manchmal auch die richtigen Menschen, die diese Leere füllen können. Doch ein Manko bleibt den meisten ungeliebten Kindern haften. Wir zeigen dir hier die Auswirkungen, die emotionale Vernachlässigung in der Kindheit auf das gesamte spätere Leben dieser Menschen haben kann:

1. Kontakte zu knüpfen fällt schwer

Wir lernen das Pflegen von Beziehungen entweder als Kinder, oder später nur mehr sehr schwer. Wer niemals gesunde Vorbilder erleben durfte, wird hier immer mit einem Verhaltensdefizit zu kämpfen haben.

2. Du leidest unter Minderwertigkeitsgefühlen

Wenn die ersten Bezugspersonen unseres Lebens uns offensichtlich nicht für gut befinden, manifestiert sich dieses Selbstbild lebenslänglich in uns. Wir bleiben das unwürdige Kind, das seiner Umgebung eher lästig oder vielleicht sogar peinlich ist, ein Leben lang. Mit diesem schweren Knick wird unser Selbstwertgefühl für immer hadern.

3. Vertrauen ist ein Fremdwort für dich

Es erklärt sich leider von selbst, dass emotional vernachlässigte Kinder lebenslänglich ein Vertrauensproblem haben werden. Eine Kindheit, die von Instabilität, Unzuverlässigkeit und ständiger Ablehnung geprägt ist, ermutigt nicht gerade dazu, sich der Spezies Mitmensch öffnen zu wollen. Wie wir Menschen sehen und einschätzen sollen, lernen wir als Kinder sehr schnell. Diese Erfahrungen prägen uns für immer.

4. Du kannst deine Bedürfnisse nicht in Worte fassen

Ungeliebte Kinder neigen als Erwachsene sehr stark dazu, sich entweder aggressiv und fordernd zu zeigen, oder total angepasst und fast unterwürfig. Beiden Reaktionen liegt die Angst zugrunde, wieder abgelehnt, verstoßen und verlassen zu werden. Sie bleiben in Beziehungen lieber die passive weiße Leinwand, als Wünsche und Begehrlichkeiten zu äußern. Schließlich könnten diese Partnerin oder Partner in die Flucht schlagen.

5. Beziehungen sind häufig zum Scheitern verurteilt

Wer als Kind Ablehnung und Zurückweisung erfahren musste, reagiert als Erwachsener in Partnerschaften häufig extrem. Die ewige Suche nach Liebe und Anerkennung kann so manche Partner*innen schlichtweg überfordern. Das Schweigen und sich nicht öffnen Wollen tut ein Übriges dazu, hier eine Bruchlandung zu provozieren. Außerdem bleiben schlimme Kindheiten häufig unerwähnt. Die Partner*innen spüren dann ständig, dass es Geheimnisse gibt und mutmaßen das Schlimmste. Meistens sehen sich ungeliebte Kinder in ihren erwachsenen Beziehungen irgendwo gefangen zwischen dem verzweifelten Klammern an den Partner oder einer abweisenden, fast kalten Haltung. 

6. Deine Gefühle sind in ständiger Unordnung

Eine der wichtigsten Fähigkeiten, die wir von unseren Eltern lernen sollten, ist der Umgang mit Gefühlen. Freude, Schmerz, Kummer und Schamgefühl sind die emotionalen Basics, mit denen jede Kindheit klarkommen muss. Gibt es dieses Gefühlsspektrum nicht oder wird seitens der Eltern nicht oder nur mit Aggression darauf reagiert, schafft ein Kind es niemals, seine Emotionen richtig sortiert zu bekommen. Die Bandbreite reicht dann später von ungezügelter Wut bis hin zu depressiven Verstimmungen, für die es jedoch keine Erklärung gibt. Sogar Freude wird zum Problem, da man als Kind emotionale Vernachlässigung erfahren hat und das sie nie von langer Dauer ist. Die schönen Seiten des Lebens zu genießen, müssen emotional vernachlässigte Kinder ebenso erst lernen wie vieles andere auch.

7. Du schwankst zwischen Abhängigkeit und Ablehnung

Die größte Herausforderung im Erwachsenenleben sind zweifellos Partnerschaft und Beziehung. Selbst für all jene, die als Kinder ein gutes Vorbild genießen durften, ist der eigene Weg dorthin ein schwieriger, der vielen Lernprozessen unterliegt. Ungeliebte Kinder trainieren sich später zwei extreme Strategien an, um ihre Beziehungen meistern zu können. Sie begeben sich entweder schnell in eine ungesunde Abhängigkeit zu Partnerin oder Partner, oder bleiben lebenslänglich auf Abstand und in Alarmbereitschaft.

8. Selbstdisziplin kann zur Herausforderung werden

Gefühle haben viele Aufgaben im zwischenmenschlichen Bereich. Eine sorgt dafür, dass wir früh lernen, uns zu beherrschen und nicht allen emotionalen Spitzen freien Lauf zu lassen. Wir erleben ein gesundes Miteinander der Gefühle, bekommen aber auch die Grenzen aufgezeigt. Wer jedoch emotionale Vernachlässigung erfahren hat , wird immer nur eine nebulose Ahnung davon haben, wie Aktion und Reaktion einer gesunden Beziehungskultur aussehen können.

9. Angstzustände, Stress und Backflashs quälen dich

Emotionale Vernachlässigung muss mit Misshandlung gleichgesetzt werden. Selbst wenn es zu keinerlei körperlichen Übergriffen kommt, leidet die Seele unter konsequenter Ablehnung enorm. Nicht selten verfolgen diese Erinnerungen ihre Opfer bis ins Erwachsenenalter. Einige Menschen leiden sogar unter deutlichen Symptomen einer Posttraumatischen Belastungsstörung. Für die späteren Erwachsenen bedeutet dies ein Leben in ständiger Angst und Verunsicherung. Jeder Veränderung birgt ein Risiko, und jedes kleinste Zeichen einer Ablehnung durch andere wiegt schwer.

10. Wirklich zu dir durchdringen kann niemand

Die wohl schlimmste Seite emotionaler Vernachlässigung ist ihr langer Schatten, den sie bis ins hohe Alter auf unser Leben wirft. Das verängstigte, einsame und ungeliebte Kind in uns werden wir niemals vollständig los. Es bleibt ein Teil von uns und kann mit Glück, Freundschaft, Liebe und Partnerschaft nicht viel anfangen. Die Rolle des stummen Außenseiters, der sich nirgends wirklich zugehörig fühlt, kann zum lebenslangen Engagement für emotional vernachlässigte Kinder werden. Selbst wenn sie ihr Umfeld davon überzeugen können, glückliche und zufriedene Zeitgenoss*innen zu sein, wissen sie selbst es tief in ihrem Inneren besser. 

Fazit: Nimm das traurige Kind an die Hand

Eine emotionale Vernachlässigung kann man leider nicht rückwirkend einfordern. Es gibt natürlich die Möglichkeit, sich professionelle Hilfe zu suchen und so zumindest einige Vorkommnisse besser zu verstehen. An der inneren Leere und dem ständig traurigen Kind, das nach wie vor in uns schlummert, ändern diese Interventionen aber oft nur wenig. Erwachsene müssen funktionieren. Das innere Kind jedoch, das in so vielerlei Hinsicht auf der Strecke geblieben ist, will nur eines: endlich geliebt werden. Dies wird zur lebenslangen Aufgabe. Zwei gute Möglichkeiten gibt es, dir den Schmerz der Vergangenheit ein wenig zu nehmen. Sprich, wenn du kannst, offen und ehrlich darüber. Viele Menschen schaffen das nicht und fragen sich lebenslänglich, was mit ihnen nicht stimmt. Wenn deine Erfahrungen nur einem Menschen helfen, sein Leben besser zu meistern, hast du deine schlechte Kindheit zu etwas Gutem nutzen können. Die zweite Möglichkeit ist natürlich, die Fehler der eigenen Eltern nicht zu wiederholen. Hier darf man sich von den eigenen Kindern jedoch nicht zu viel erwarten. Sie kommen als eigenständige Persönlichkeiten auf die Welt, nicht als Therapie-Werkzeuge ihrer Eltern. Die erhoffte Bilderbuch-Familie aus bunten Werbespots entspricht nicht der Realität, nicht einmal für jene Kinder, die über die Maßen geliebt und beschützt wurden.

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