Narzissmus: Was ist die Wurzel des Narzissmus und anderer dunkler Eigenschaften?

Licht auf die dunkle Seite der Menschen

Persönlichkeitsstörungen wie Narzissmus oder andere negative Eigenschaften, die unter der Bezeichnung D-Faktor (der dunkle Faktor) unserer Psyche zusammengefasst werden, sind vielseitig. Im Prinzip geht die Forschung davon aus, dass jeder Mensch das Potenzial in sich trägt, um im späteren Leben zu einem manipulativen Puppenspieler zu werden, der gerne die Fäden in der Hand und seine Mitmenschen an der kurzen Leine hält. Der D-Faktor umfasst sämtliche Charakterzüge, die mit Selbstüberschätzung und der Abwertung anderer einhergehen. Also immer dann, wenn Beleidigungen und Geringschätzung offen auf der Tagesordnung der Akteure stehen und diese bewusst und im schlechtesten Sinne des Wortes über Leichen gehen, um ihre Ziele zu erreichen.

Die Dunkle Triade

Dunkle Persönlichkeiten vereinen häufig drei der schlimmsten und prägnantesten Ausformungen in sich: Psychopathie, Narzissmus und Machiavellismus. Zur Triade gesellt sich häufig noch ein vierter dunkler Charakterzug hinzu, der Sadismus. Aus der Dunklen Triade wird dann die Dunkle Tetrade. Kurz und bündig präsentieren sich diese Zeitgenoss*innen in etwa wie folgt: Narzissten sind arrogant und selbstverliebt. Sie genießen die Macht und die Kontrolle über ihre Mitmenschen und jede Situation. Machiavellismus äußert sich in besonders berechnendem und betrügerischem Vorgehen. Hier steht meistens ein konkretes Ziel auf der Agenda, das mit allen Mitteln verfolgt werden will. Psychopathen agieren ganz allgemein enthemmt und gefühllos. Sie führen häufig ein ruhiges und beschauliches Leben, bis sie irgendwann herausgefordert, provoziert und beleidigt werden. Dann erst zeigen sie ihr wahres Gesicht. Sadisten sind einfach nur grausam und genießen jeden Moment ihres abscheulichen Tuns. Im Gegensatz zu Psychopathen, die meist nur dann grausam agieren, wenn sie einen bestimmten Zweck damit verfolgen, fügen Sadisten einfach nur gerne anderen Menschen und Tieren Leid zu, weil sie diese Handlungen an sich genießen und immer wieder erleben möchten.

So sehr wir diese Persönlichkeitsmerkmale auch ablehnen und ausschließlich negativ assoziieren, so sehr mag es uns erstaunen, dass einige Bereiche tatsächlich von Menschen profitieren, die in diesen Kategorien anzutreffen sind. Damit gemeint sind vor allem Berufsgruppen, wo Rücksichtslosigkeit, Ellbogentechnik und die Ausschaltung der Konkurrenz oder das Eliminieren von Feindbildern im Vordergrund stehen. Zu behaupten, dass die Dunkle Triade oder Tetrade also keine Daseinsberechtigung in unserer aufgeklärten und bewussten Gesellschaft hätten, wäre so gesehen schlichtweg falsch.

Wie viel Dunkelheit steckt in uns?

Die Frage danach, ob das Böse angeboren, genetisch oder erworben ist, treibt die Menschheit seit jeher um. Zahlreiche Forschungsdisziplinen haben sich daher bereits der Erforschung der dunklen Seite gewidmet. Tatsächlich scheint das Diabolische in uns messbar zu sein. Eines der dabei verwendeten Instrumente ist das Hexaco-Modell, auch Hexaco-Persönlichkeitsinventar genannt. Entwickelt wurde es im Jahr 2000 von den beiden kanadischen Psychologen Kibeom Lee und Michael C. Ashton. Es gibt verschiedene Versionen davon: Die meisten Studien bedienen sich der 100 Fragen-Version, welche in 20 Minuten absolviert wird und solide Ergebnisse liefert. Die kürzere, 60 Fragen-Version, kann in 12 Minuten beantwortet werden und dient einer ersten groben Einschätzung, nicht aber wissenschaftlichen Zwecken. Dafür steht den Forscher*innen eine detaillierte Variante mit 200 Fragen zur Verfügung. 

Alle drei Versionen beruhen auf einem fundierten Fragebogen, der aus der Summe seiner Antworten darauf schließen lässt, wie viel Dunkelheit in jedem von uns steckt. Ausgewertet wird dabei hauptsächlich, wie hoch die Anteile der sechs wichtigsten menschlichen Charakterzüge in uns sind: 

1. Ehrlichkeit und Bescheidenheit

2. Emotionalität

3. Extraversion

4. Verträglichkeit

5. Gewissenhaftigkeit

6. Offenheit für Erfahrungen

Je nachdem, wie ausgeprägt die verschiedenen Anteile in einer Persönlichkeit vorhanden sind, können Psycholog*innen Rückschlüsse auf das Vorhandensein von dunklen Tendenzen ziehen. Bei einigen dieser Fragen wird beispielsweise gezielt das Bedürfnis nach Rache und Vergeltung abgetastet, einem Bereich, dem sich düstere Charaktere nur schwer entziehen können.

Der Narzisst outet sich gerne selbst

Jüngste Studien des Forscherteams rund um den US-amerikanischen Psychologen Brad Bushman von der Ohio State University konnten in insgesamt 11 Experimenten belegen, dass sich Narzissten mit einer einzigen Frage enttarnen lassen. Man fragt die betreffende Person nämlich einfach danach, ob sie sich für einen Narzissten hält. Die Betroffenen beantworteten die Frage ohne zu zögern und auch nicht ganz ohne Stolz sofort mit „ja“. Sie sind überzeugt davon, dass es sich dabei um eine gute Eigenschaft handelt, da sie sich selbst ja ausschließlich in einem positiven und ganz wundervollen Scheinwerferlicht sehen. Für Narzissten sind sie selbst der Nabel der Welt und der Dreh- und Angelpunkt des Universums. Ein Falsch gibt es für sie nicht, daher gibt es auch keinen Grund, ihre Agenda zu leugnen und ihr gleißendes Licht unter einen Scheffel zu stellen. 

Wie entsteht Narzissmus?

Die Entwicklung einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung findet so gut wie immer in der Kindheit statt. Wenn Leistung und Anerkennung bei der Erziehung im Vordergrund standen und dieses System mit einem Fehlen von emotionaler Wärme innerhalb der Familie einherging, konnte so ein erster Grundstein für die spätere Ausbildung dieses Charakterzuges gelegt werden. Es fehlt diesen Kindern jedoch komplett an Grenzen, und eine Vermittlung von sozialen und moralischen Werten findet ebenfalls nicht statt. Viele Erwachsene, die klare narzisstische Tendenzen entwickeln, wurden als Kinder nur dann belohnt, wenn sie den elterlichen Vorgaben entsprachen und deren Bedingungen erfüllten. Diese sogenannte konditionale Akzeptanz führte in weiterer Folge dazu, dass die Betroffenen sich nicht als Personen wertzuschätzen lernten, sondern nur als funktionale Wesen. Sie lernten schnell und früh im Leben, dass Erfolge alles waren, Misserfolge hingegen nichts. Sie begriffen auch, dass sie immer etwas Besonderes sein oder darstellen mussten, um akzeptiert und anerkannt zu werden. Auch das offene Zeigen von Gefühlen und individuellen Bedürfnissen wurde seitens der Eltern und Erziehungsberechtigten häufig ignoriert, abgewertet oder bestraft. Die Betroffenen empfinden daher auch später in ihrem Leben noch Scham und Wut, wenn sie Zeichen von Verletzlichkeit an sich entdecken. In weiterer Folge versuchen sie, diese zu verbergen und neigen zu Kompensationshandlungen. Menschen mit narzisstischen Persönlichkeitsstörungen kommen überdurchschnittlich oft aus Familien, in denen es kaum jemals körperliche Zuwendung oder das Gefühl von Wärme und Nähe gab. Dem gegenüber steht häufig das Phänomen, dass sie dafür mit materiellen Zuwendungen förmlich überschüttet und grenzenlos verwöhnt wurden. Diese Grenzenlosigkeit führte jedoch auch dazu, dass sie niemals die Fähigkeit erlernen konnten, die Bedürfnisse anderer zu respektieren. Viele Narzissten hatten zumindest ein Elternteil, das ebenfalls unter chronischer Selbstüberhöhung litt und daher ein Vorbild im schlechtesten Sinne darstellte.

Ist Narzissmus heilbar?

Eine narzisstische Persönlichkeitsstörung ist nicht wirklich heilbar. Der Grund dafür ist ebenso simpel wie prekär: Die Betroffenen empfinden sich weder als krank noch als schädlich für ihr Umfeld. Für einen Narzissten ist die eigene Welt immer in Ordnung, nur alle anderen sind es nicht. In seltenen Fällen unterziehen sich narzisstische Charaktere dennoch einer Psychotherapie, die langwierig und schwierig und auch nur selten von Erfolg gekrönt sein wird. Selbst nach neuesten Erkenntnissen der Forschung ist die Wahrheit leider diese: Das beste Ergebnis, das gezielte Langzeittherapien bei Narzissten erreichen können, ist eine Abmilderung ihrer ausgeprägten dunklen Züge. Aus einem Narzissten wird also selbst unter den besten Voraussetzungen maximal eine Light-Version, aber niemals ein guter und mitfühlender Mensch.