Warum denken inkompetente Menschen häufig, dass sie schlau sind?

Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt

Sich die Welt zurecht zu biegen, sie sie einem gefällt, klingt wie das Motto von Pippi Langstrumpf, ist aber (leider) nicht nur Kindermund vorenthalten. Die erschreckende Überzeugung, mit der viele Menschen falsches oder halbgares Wissen von sich geben und als einzig gültige Wahrheit in die Welt hinausschreien, ist nicht nur haarsträubend, sondern kann auch gefährlich werden. Wir alle treffen tagtäglich auf sie: Arbeitskolleg*innen, Mitreisende in öffentlichen Verkehrsmitteln oder Protagonist*innen in zweifelhaften Talkshows, die mit der Inbrunst der völligen Überzeugung Verschwörungstheorien, Falschinformationen und sich hartnäckig haltende urbane Mythen herausposaunen. Leider sind diese Menschen nicht nur sehr laut und aggressiv in ihrem Tun, sie legen ihre Meinung auch bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit wie eine in Stein gemeißelte, unantastbare Reliquie auf den Tisch. Dass alle anderen Anwesenden nur einen rosa Elefanten sehen, der im Zimmer steht, tangiert sie dabei praktisch nicht. Erforscht und auf den Punkt gebracht haben dieses weit verbreitete Phänomen der verzerrten Eigenwahrnehmung die beiden amerikanischen Sozialpsychologen David Dunning und Justin Kruger 1999. Seitdem hat das Unerklärliche zumindest einen Namen: Dunning-Kruger-Effekt. 

Der Mangel an Wissen täuscht Wissen vor

Je weniger fundiertes Wissen oder Sachkenntnis zu einem Thema vorhanden sind, desto beharrlicher äußern Dunning-Kruger-Menschen ihre Meinung dazu. Von dieser weichen sie auch nicht ab, selbst wenn anerkannte Expert*innen zu diesem Fachgebiet anwesend sind. Im Gegenteil: Expert*innenmeinung wird mit Vorliebe und erst recht als „fake“ abgewertet. Nicht selten wird Fachpersonal dabei gar unterstellt, für die Verbreitung dieser Falschmeldungen bezahlt zu werden. Die Grenze zur Verschwörungstheorie ist hier fließend. Erschreckendes Detail am Rande: Studien zeigten, dass Fehlinformationen stärker beibehalten und verbreitet werden, je geringer der tatsächliche Wissensstand der Akteure in Wirklichkeit ist. Wichtige Voraussetzung dafür ist, dass die Irrmeinung in irgendeiner Weise nützlich für diese Menschen ist. Bezeichnendes Beispiel quer durch die Menschheitsgeschichte hindurch: Personengruppe X nimmt Personengruppe Y die Arbeitsplätze weg. 

Gruppenzwang und Herdentrieb: Booster für den Dunning-Kruger-Effekt

Die Macht der Gruppe sollte niemals unterschätzt werden. So ist es auch nicht verwunderlich, dass eine falsche Meinung sich nicht ausdünnt, je öfter sie geteilt wird, sondern potenziert. Je mehr Menschen einem Irrglauben anheimfallen, desto stärker manifestiert sich dieser innerhalb der Gruppe. Dass daraus bedenkliche Massenphänomene entstehen können, zeigt uns die Geschichte leider in regelmäßigen Abständen immer wieder aufs Neue. Für nicht-repräsentative Feldstudien reicht dafür bereits ein Gang in das örtliche Gasthaus oder Vereinslokal. Der Dunning-Kruger-Effekt ist Stammgast an so ziemlich jedem heimischen Stammtisch. 

Schlauer als die Expert*innen

Opfer des Dunning-Kruger-Effekts halten sich nicht nur für unfehlbar und schlauer als ihre Mitmenschen. Sie gehen sogar davon aus, dass sie das Wissen von erprobten und anerkannten Expert*innen zu einem bestimmten Thema noch haushoch toppen können. Studien ergaben dazu, dass sogar ein signifikanter Zusammenhang besteht, zwischen dem Mangel an Wissen zu einer Sache und der gefühlten, subjektiven Expertise dieser Personen. Je weniger Wissen sie objektiv betrachtet zu einem Thema vorweisen konnten, desto kompetenter fühlten und sahen sie sich selbst. Eine Diskussion mit „Opfern“ des Dunning-Kruger-Effekts zu führen, ist selten effektiv. Darüber hinaus sind die wenigstens von uns tatsächlich immun dagegen. Selbst diejenigen, die sich als gut informiert und unvoreingenommen einschätzen, können seiner Dynamik verfallen. Diese Leute mit Fakten oder Argumenten zu einem Umdenken zu bewegen, bewirkt meist das genaue Gegenteil. Es verstärkt ihre Abneigung gegen rationale Einwände und ein Überdenken bestimmter Glaubenssätze noch viel mehr. 

Jede(r) ist anfällig dafür

Studien haben gezeigt, dass der Dunning-Kruger-Effekt leider auch vor wirklich gebildeten, gut informierten Menschen nicht Halt macht. Tatsächlich sind wir alle in irgendeiner Weise unter besonderen Umständen empfänglich dafür, diesem psychologischen Phänomen auf den Leim zu gehen. Der Dunning-Kruger-Effekt kann unabhängig von Intelligenz, Bildung oder sozialem Background auftreten. Nicht einmal das Wissen rund um seine Existenz bewahrt uns dauerhaft und beständig vor ihm. Wie Studien zeigen, sind selbst Vertreter*innen ein- und derselben Berufsgruppe nicht geneigt, dem Rat ihrer Kolleg*innen mehr Glauben zu schenken als dem eigenen Urteilsvermögen. 

Das Unerklärliche erklären wollen

Im Alltag werden die meisten von uns eher die Flucht antreten, als den Versuch einer Diskussion mit Dunning-Kruger-Menschen zu wagen. So hart es auch sein mag, sich immer wieder gefährlichem Halbwissen gepaart mit Selbstüberschätzung und Arroganz gegenüber zu sehen, umso härter kann es sein, zu erkennen, dass mit Logik hier kein Lorbeerzweig zu gewinnen ist. Wer sich dem Schachspiel mit einer Taube jedoch stellen will, sollte gewappnet sein. Was also kann man tun, wenn eine einmal gefasste, offensichtlich falsche Meinung weder mit empirischen Daten und Fakten noch mit anderen objektiven Beweisen zu korrigieren ist? Die Lösung liegt in der Person und ihren Erfahrungen, nicht in ihrem Wissen oder Unwissen. Wer sich auf die Reise zum Mittelpunkt der Halbwahrheiten und Falschmeinungen begeben möchte, muss hinterfragen, wie diese Person zu ihrer fehlerhaften Einschätzung der Lage gekommen ist. Woher kommt die Information? Wer hat sie zur Verfügung gestellt? Und: Wie wurde sie „verkauft“? Hier liegt des Rätsels Lösung. 

Des Kaisers neue Kleider

Eine Information kann falsch zum Quadrat und von himmelschreiender Absurdität sein, wenn sie nur gut genug an die Frau und an den Mann gebracht wurde. Ähnlich wie in dem Märchen „Des Kaisers neue Kleider“ versetzt der Glaube Berge, keine Tatsachen. Wer also eine Dunning-Kruger-Person ergründen möchte, hört ihr zu, fragt nach ihrer persönlichen Geschichte und lässt dies alles in einem freundlichen Rahmen geschehen. Auch hierzu liefern wissenschaftliche Studien den Beleg. Besonders erfolgversprechend haben sich demnach solche Versuche erwiesen, wenn den Befragten Speisen und Getränke angeboten werden. Dies macht aus einer empirischen Expedition mit ungewissem Ausgang im schlechtesten Fall einen netten Abend mit Smalltalk unter Fremden, die sich am Ende des Abends vielleicht ein wenig besser verstehen. Abhilfe schaffen kann man dem Dunning-Kruger-Effekt übrigens nur langfristig und nachhaltig: Einem Mangel an Wissen kann nur durch flächendeckende Bildungsangebote, die für alle Menschen frei zugänglich sind, Einhalt geboten werden. 

Wer klüger ist, gibt nach?

Gerade politische Massenphänomene zeigen die Gefahr auf, die diese Selbstüberschätzung gepaart mit enormen Wissenslücken in sich bergen kann. Tatenlos zuzusehen, wie die Gesellschaft von Verschwörungstheorien, medialen Irrlichtern und faustdicken Lügen in eine bestimmte Richtung gedrängt wird, tut jedem aufgeklärten und vernünftigen Menschen in der Seele weh. Zudem zeigt die Geschichte mehrfach, welche erschreckende Dynamik aus dieser unheilvollen Konstellation entstehen kann. Die Klügeren sollten also nicht kampflos nachgeben, zumindest nicht, wenn die Spur einer Hoffnung besteht. Je unvoreingenommener man sich auf die Suche nach den Beweggründen dieser Menschen begibt, desto größer die Erfolgsaussichten. Enttäuscht sein sollte man über ein Scheitern jedoch nicht. Manchmal hilft es nur, das Unabänderliche als das anzusehen, was es ist. Oder, wie der britische Philosoph Bertrand Russel es bereits 1933 auf den Punkt brachte: Eines der Hauptprobleme unserer modernen Welt ist, dass die Dummen sich vollkommen sicher sind, während die Intelligenten voller Zweifel sind.