Ungesunde Mutter-Kind-Beziehung

Mutterliebe: Zu viel und nie genug

Die Bindung einer Mutter zu ihrem Kind ist einzigartig. Sie kann unendlich, aufopferungsvoll, überbordend, kompliziert und zerstörerisch zu gleichen Teilen sein. Eine Mutter hört lebenslänglich nicht damit auf, Mutter zu sein. Wenn das Kind umjubelte/r Nobelpreisträger*in oder Konzertpianist*in von Weltrang wird, ist der Dank der Mutter geschuldet. Entwickelt sich der Nachwuchs hingegen zu einem kriminellen Superhirn, wird auch nach wie vor immer noch vorrangig der Mutter die Schuld dafür gegeben. Es ist also nicht übertrieben zu behaupten, dass „Mama“ der wohl schwierigste Job der Welt ist. Wenn die ganzen Bemühungen und schlaflosen Nächte dann wenigstens darin münden, dass die Liebe irgendwann erwidert wird, hat man Glück gehabt. Viele Mutter-Kind-Beziehungen enden als Einbahnstraße und lassen den Elternteil einsam und enttäuscht im Herbst des Lebens hinter sich zurück. Doch es kann auch von Anfang an einiges schieflaufen. Wir zeigen dir hier fünf ungesunde Formen einer Mutter-Kind-Bindung:

1. Unfreiwilliger Rollentausch

Gerade Trennungs- oder Scheidungskinder finden sich irgendwann plötzlich in der Rolle des Erwachsenen wieder, während die Mutter sich gehen lässt, in Depressionen oder Alkohol verfällt oder ganz einfach mit dem täglichen Leben und ihrer Mutterrolle überfordert ist. Söhne werden dann häufig noch zusätzlich mit der Rolle überfrachtet, nun der „Mann im Haus“ zu sein. Unnötig zu sagen, dass jedes dieser Szenarien ein Kind einfach nur überfordert und vor allem auch hochgradig verwirrt. Es besteht ein großer und essenzieller Unterschied darin, Kindern früh ein gewisses Maß an Verantwortung zu übertragen. Ihr Zimmer aufzuräumen, ihr Geschirr in die Spülmaschine zu räumen und den Goldfisch zu füttern etwa zählen dazu. Einen ganzen Haushalt zu organisieren, die Mutter von Alkohol und Medikamenten fern- oder davon abzuhalten, sich noch gröberen Schaden zuzufügen, ist definitiv kein Job für ein Kind. Wenn der Sohn dann noch als Ersatz-Partner gesehen wird, ist zumindest ein höchst ungesundes Verhältnis von Mutter und Kind mit äußerst schiefer Optik vorprogrammiert.

2. Die Trophäen-Sammlerin

Die Mütter, denen der eigene Traum einst verwehrt geblieben war, instrumentalisieren häufig ihre Kinder, um ihn spät, aber doch noch wahrwerden zu lassen. Man erkennt die Wohnungen solcher Mütter meist sofort auf Anhieb. Überall stehen Pokale und Fotos, die das Kind beim Gewinnen in irgendeiner Disziplin zeigen. Werden die Kinder größer, zieren die Wände Diplome von ehrwürdigen Universitätsabschlüssen und hoch dotierte Zertifikate, die den Müttern ihrer Ansicht nach zu mindestens gleichen Teilen zustehen, wie dem erfolgreichen Kind. Es spricht absolut nichts dagegen, überdurchschnittlich stolz auf die Erfolge der Kinder zu sein, im Gegenteil. Wichtig dabei ist nur, dass immer klar ist, dass es eben der Erfolg des Kindes war und nicht jener der Mutter. Und: Der Erfolgskurs des Kindes darf zwar gefördert werden, aber nicht gefordert. Es besteht fraglos ein himmelweiter Unterschied, ob ein Talent entdeckt und dieses in Absprache mit dem Kind gefördert wird, oder ob es damit zwangsbeglückt wird. Kinderseelen mit Gewalt auf einen Erfolgskurs bringen zu wollen, der dem Wunsch der ambitionierten Eltern entspringt, aber nicht ihrem eigenen, steht dem Missbrauch näher als einer Erziehung. Liest man die Biografien erfolgreicher Sportler*innen, Schauspieler*innen oder Sänger*innen, so spielen die Eltern in ihrem Leben immer eine Rolle, oft keine vorbildliche. Sie sind natürlich letztendlich am Ausmaß des Erfolges mit beteiligt, keine Frage. Aber sich mit fremden Federn zu schmücken, steht nicht einmal den Müttern zu. 

3. Beste Freund*innen 

Sie agieren vom ersten Tag an wie ein unschlagbares dynamisches Duo, in dem es keine Hierarchien gibt. Es wird die totale Gleichberechtigung zwischen Mutter und Kind gelebt, in der es keine Autorität, keine Geheimnisse und keine Unterschiede zwischen beiden gibt. So schön es ist, wenn sich beispielsweise Mutter-Tochter-Gespanne irgendwann im Erwachsenenalter als echte Freundschaften entpuppen, so schädlich kann es sein, wenn das Kind von Beginn an als beste Freundin oder bester Kumpel gehandelt wird. Ihm fehlt nicht nur jegliches Verständnis für die Welt der Erwachsenen, es wird auch kaum das Nötigste an Erziehung mitbekommen. Wozu auch? Der besten Freundin sagt man schließlich auch nicht, was sie tun und lassen soll. Das Schlimme an dieser Form von Bindung ist, dass die Mütter vermutlich beste Absichten hegen, das Kind als gleichwertigen Player auf Augenhöhe zu betrachten. Was sie dabei jedoch nicht berücksichtigen ist, dass ein Kind, besonders ein kleines, völlig überfordert mit dieser ihm zugedachten Rolle ist. Außerdem stellt sich die Frage, ob nicht schierer Eigennutz hinter diesem Konstrukt steht, das die Mutter eindeutig nötiger braucht als das Kind.

4. Ablehnung statt Mutterliebe

Ein Zuviel an Mutterliebe kann erdrückend sein und das Kind an seiner Entwicklung hindern. Mindestens genau so schlecht jedoch ist ein Zuwenig davon. Mütter, die es niemals schaffen, eine emotionale Bindung zu ihren Kindern aufzubauen und ihnen wenigstens ein Mindestmaß an Zuneigung zu zeigen, richten unbewusst einen Schaden für das ganze Leben ihres Kindes an. Ablehnung von Seiten der Mutter ist für das Kind unverständlich, verwirrend und absolut schmerzhaft. Es wird immer etwas vermissen, ohne jedoch genau zu wissen, was es ist. Diese Suche kann sich das ganze restliche Leben hindurchziehen wie ein roter Faden. Kinder bis zum fünften Lebensjahr kommen damit noch gut klar. Erst wenn sie beginnen, ihre kognitiven Fähigkeiten zu entfalten und Gefühle bewusst zu empfinden, sind sie überfordert, wenn keine emotionale Antwort von Seiten der Mutter kommt. Ein Lächeln wird nicht erwidert, eine Umarmung wird verwehrt, eine Wunde wird lieblos versorgt, ohne tröstende Worte oder Mitgefühl. In der Folge lernt das Kind, seine Gefühle zu unterdrücken, da es unbewusst merkt, dass diese nicht willkommen sind. Als junge Erwachsene haben sie nicht selten mit ernsten psychischen Erkrankungen zu kämpfen. Der wohl größte Schaden einer lieblosen Kindheit ist aber, dass der Zwiespalt der eigenen Gefühle diese Menschen ein Leben lang beschäftigen wird.

5. Herrin und Diener*in

Das genaue Gegenteil der besten Freund*in ist die herrschsüchtige Mutter, die ihre Kinder wie ihre Untergebenen betrachtet und sie ebenso behandelt. Neben einem Klima strengster Autorität, das nicht selten in eine Herrschaft von Angst und Terror mündet, fehlt natürlich auch bei diesem Konstrukt die Liebe völlig. Dem Kind wird darüber hinaus immer wieder suggeriert, dass alle Entscheidungen, die über seinen Kopf hinweg getroffen werden, nur zu seinem Besten sind. Dominanz wird also auf einem Tablett mit emotionaler Erpressung serviert, die dem Kind noch zusätzlich zu dem Gefühl der Hilflosigkeit und des Ausgeliefertseins ein schlechtes Gewissen verursacht.

Ewig Mutter, ewig Kind

Mutter ist ein Job, den man nicht kündigen kann. Aus diesem Vertrag gibt es lebenslänglich keinen Ausstieg und kein Nachverhandeln der Konditionen. Für die meisten Kinder verhält es sich ähnlich. Wer nicht wirklich endgültig mit seiner Familie bricht, bleibt lebenslang das Kind. Unter glücklichen Umständen ist an beiden Tatsachen nichts auszusetzen. Musste man seine Kindheit jedoch unter schwierigen Umständen durchleben, wird das Verhältnis zur Mutter immer ein schwieriges bleiben. Die eigene Kindheit kann man leider nicht umtauschen oder Schadenersatz dafür einklagen. Man kann es selbst irgendwann besser machen und aus den Fehlern der Eltern lernen. Schlechte Vorbilder sind bekanntlich die besten.