Emotionaler Missbrauch

Emotionaler Missbrauch in der Kindheit und die Folgen

Schwerer Start – schweres Leben

Emotionaler Missbrauch: Es ist kein Wunder, dass wir die Antworten auf unangenehme Fragen zu unserer Persönlichkeit und zu unserem Leben immer zuerst in unserer Kindheit suchen. Sie ist wie das Fundament unseres Lebens, mit ihr steht und fällt alles weitere. In den ersten Lebensjahren werden die Grundsteine dafür gelegt, wie wir uns selbst als Personen wahrnehmen, aber auch unser Umfeld. Wir lernen, was Beziehungen sind und wie Familien funktionieren, oder eben nicht. Da uns die Vergleichsmöglichkeiten fehlen – jedes Kind sieht das Leben nur aus seiner Perspektive – prägen uns diese Erlebnisse nachhaltig. Wir sehen sie als die einzige Wahrheit, und das für sehr lange Zeit. Aus diesem Grund konzentriert sich nach wie vor ein Großteil der psychologischen Forschung darauf, die Auswirkungen frühkindlicher Erfahrungen auf das spätere Leben zu verstehen. Besondere, traurige Bedeutung kommt dabei nicht nur dem körperlichen und sexuellen Missbrauch zu, sondern auch dem emotionalen. Wie sich diese Art toxischer Beziehung auf das Erwachsensein auswirkt, zeigen wir dir hier:

1. Bindungen werden immer unsicher und angstbeladen sein

Die von John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelte Bindungstheorie geht davon aus, dass wir uns als Erwachsene auf zwei Arten an andere Menschen binden können: Man unterscheidet die sichere Bindung und die unsichere Bindung. Die schlechte Vorbildwirkung der Kindheit führt dazu, dass andere Menschen primär als Risiko- und Unsicherheitsfaktor wahrgenommen werden. Jede Bindung ist für diese Personen ein Schritt auf dünnes Eis, der nur unter größter Vorsicht und mit sehr viel Skepsis gewagt wird. Sich Partner*innen oder anderen Menschen zu öffnen, fällt schwer. Sie bleiben lieber auf Distanz und wahren ihren emotionalen Sicherheitsabstand zu anderen. Wer niemals kennenlernen durfte, wie Menschen im Idealfall miteinander umgehen und sich gegenseitig Hilfe und Unterstützung anbieten, wird nie eine klare Vorstellung davon haben, was möglich ist. Sogar nach Jahren des Zusammenseins wird die Unsicherheit die Betroffenen noch immer eisern im Griff haben. Selbst das Gründen einer eigenen Familie mit dem festen Vorsatz, es besser zu machen, wird sich nicht als Selbstläufer entpuppen und auch mit Enttäuschungen nicht sparen. 

2. Emotionaler Missbrauch hemmt die emotionale Entwicklung

Als Kind emotional missbraucht zu werden, lähmt unsere emotionale Entwicklung. Instinktiv wissen wir wahrscheinlich, dass es falsch ist, was sich hier in unserem jungen Leben abspielt, können aber nicht sicher sein. Narzisstische Eltern oder das leider weit verbreitete Machtspiel von Zuckerbrot und Peitsche führen dazu, dass wir außer Unsicherheit und Angst kaum Gefühle entwickeln können. Sie brauchen Sicherheit, weil sie authentisch und ehrlich sind. Fühlen wir diese Sicherheit nicht, halten wir sie lieber unter Verschluss und unterdrücken sie so lange wie möglich. Emotionen bedeuten Risiko für misshandelte Kinder, und dieser verinnerlichte Mechanismus verfolgt sie ein Leben lang. Freude ist für sie nur eine flüchtige Bekannte. Schnell kann das Unbeschwerte wieder vorbei sein oder wird vielleicht sogar bestraft. Angst, Wut, Scham und Traurigkeit hingegen sind gute alte Freunde, die immerhin ansatzweise gefühlt werden durften. 

3. Wir eignen uns selbstzerstörerische Muster an

Wenn jemand in einem Elternhaus aufwachsen musste, das kein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermittelt hat, ist fast immer das Antrainieren bestimmter Bewältigungsmechanismen und Kompensationsstrategien die Folge. Viele ungeliebte Kinder finden Mittel und Wege, um die Leere in ihrem Inneren irgendwie zu füllen. Essen spielt dabei eine ebenso große Rolle wie Selbstverletzungen und die Neigung zu kriminellen Handlungen und Suchterkrankungen. Gefühle sind starke Gegner, wenn sie sich weder entwickeln noch zeigen dürfen. Mit den Jahren muss zwangsläufig ein Ventil für sie gefunden werden. 

4. Er beeinträchtigt die Lebensqualität 

Emotionaler Missbrauch in der Kindheit führt traurigerweise in den allermeisten Fällen direkt in ein schwieriges Erwachsenleben. Die Möglichkeiten sind begrenzt. Mentoren oder andere Menschen, die diesen Kindern irgendwann Mut machen und ihnen die Fülle an Optionen aufzeigen, die sie trotz allem hätten, sind meistens leider dünn gesät. Viele gedemütigte und misshandelte Kinder bleiben ihr Leben lang genau das und wagen niemals den Blick über den Tellerrand hinaus. Wer seit jeher immer nur klein gehalten und als Mensch zweiter Klasse behandelt wurde, kann aus eigener Kraft kein gesundes Selbstbild entwickeln. Diese Menschen glauben irgendwann, was man ihnen von klein auf erfolgreich versucht hat, einzureden. Emotionaler Missbrauch wirft lange Schatten. Seine Opfer sind lebenslang der Meinung, nichts Gutes oder Schönes zu verdienen. Und genau dieses Leben ist ihnen dann unglücklicherweise auch vorherbestimmt. 

5. Es besteht ein höheres Risiko für psychische Probleme 

Depressionen und Angstzustände sind keine Seltenheit, wenn emotionaler Missbrauch die Kindheit dominiert hat. Manche Betroffenen entwickeln eine regelrechte posttraumatische Belastungsstörung und können kaum ein normales Leben führen. Die Neigung zu Suchtkrankheiten und selbstzerstörerischem Verhalten kommt erschwerend hinzu. Es verwundert daher nicht, dass Opfer von Missbrauch in der Kindheit signifikant öfter an Selbstmord denken und dieser Sehnsucht auch Taten folgen lassen. Wie bei jedem Trauma ist die Entwicklung schwer vorherzusagen. Es gibt Menschen, die eine schlimme und entbehrungsreiche Kindheit scheinbar mühelos hinter sich lassen und sich als Erwachsene irgendwann neu erfinden. Tatsächlich aber wird ihr Leben niemals einfach sein, auch wenn es für Außenstehende vielleicht so aussehen mag. Nicht alle haben die Kraft oder treffen irgendwann auf Menschen, die ihnen diese geben können. Eine Pauschalierung wäre natürlich der falsche Weg. Einige ehemalige Opfer führen später ein gutes Leben. Die meisten jedoch leiden lebenslänglich in irgendeiner Weise unter den Spätfolgen ihrer traumatischen Kindheit. 

Fazit: Unsere Kindheit: Für immer vorbei und dennoch allgegenwärtig

Es gibt leider keine zweite Chance, um die eigene Kindheit nachzuholen. Ist sie vorbei, kommt sie nie wieder, begleitet uns aber dennoch ein Leben lang. Glücklich ist, wer Liebe und Anerkennung erfahren durfte. Dieses Rüstzeug hält bis ans Ende unserer Tage vor und lässt uns zu selbstbewussten Erwachsenen werden. Anders bei Opfern von Gewalt und Missbrauch. Sie werden ihre Dämonen ein Leben lang nicht los. Was sie dringend brauchen, ist professionelle Hilfe und jede Unterstützung, die sie bekommen können. Wer kann, sollte unbedingt über seine Erlebnisse sprechen. Geteiltes Leid ist nicht nur halbes Leid. Deine Geschichte tröstet auch Menschen, die diesen Weg noch nicht gehen können. Man vermittelt ihnen so wenigstens spät, aber doch, dass ihr inneres Kind nicht allein bleiben muss. 

https://www.verywellmind.com/childhood-abuse-changes-the-brain-2330401