Bewältigung eines Kindheitstraumas als Erwachsener

Die Kindheit verstehen

Sie ist das Fundament unseres restlichen Lebens und kann weder nachgeholt noch umgetauscht werden. Fakt ist: Die Chancen, eine glückliche Kindheit durchleben zu dürfen, stehen 50:50. Oft sehen wir erst im Vergleich mit anderen, wie viel Glück oder Pech wir damals hatten. Manches erschließt sich uns auch erst als Erwachsene, und viele Fragen müssen lebenslänglich unbeantwortet bleiben. Leiden muss heutzutage allerdings niemand mehr, wenn tiefe Wunden aus der Kindheit noch immer schmerzen. Es gibt zahlreiche Möglichkeiten und Angebote, ein Trauma aus den ersten Lebensjahren auch später noch erfolgreich verarbeiten zu können. Den meisten Menschen hilft es schon, das Erlebte zu verstehen und ihm so den Schrecken zu nehmen. Sich für dieses schwierige Vorhaben professionelle Hilfe mit ins Boot zu holen, ist unbedingt empfehlenswert. Wenn du bereit bist, und dich lieber allein den Dämonen der Vergangenheit stellen willst, zeigen wir dir 10 Schritte auf, wie diese Übung gelingen kann:

1. Das Trauma braucht eine Definition

Unser bewusstes Erinnerungsvermögen setzt erst ab einem Alter von circa 2 Jahren ein. Wenn du dich nur dunkel erinnern kannst, nimm Fotos zu Hilfe oder frage Menschen, die damals dabei waren. Du musst wissen, was genau dir einst passiert ist, damit du weitermachen kannst.

2. Wie geht es dir damit?

Wenn du dein Trauma erkannt hast, musst du dich deinen Gefühlen stellen. Das klingt leichter als es ist. Wie geht es nun damit, wo du die Geschehnisse deiner Kindheit klar und deutlich vor Augen hast? Welche Gefühle kommen in dir hoch?

3. Zerlege das große Ganze in kleine Einzelteile

Ein Trauma wirkt manchmal wie ein riesiger Felsbrocken auf unserer Brust. Du musst ihm diesen Schrecken nehmen, indem du es zerlegst. Beginne mit folgenden Fragen: Wann ist es passiert? Was genau ist vorgefallen? Wer waren die Beteiligten? Wer kam dabei zu Schaden? Wie wurde reagiert? Wer hat darunter leiden müssen? Und: Hätte man es verhindern können und wenn ja: Wie?

4. Woher entstammt dieses Trauma?

Ein traumatisches Erlebnis hat immer eine Vorgeschichte. Einem Unfall beispielsweise geht häufig ein Streit oder Unachtsamkeit voraus. Versuche, den Ursachen auf den Grund zu gehen.

5. Fühle das Erlebte mit jeder Faser

Es hilft dem Heilungsprozess enorm, wenn du die Schritte 3 und 4 handschriftlich notierst und dokumentierst. Lies dir deine Erkenntnisse mit ein wenig Abstand immer und immer wieder durch. Du musst das Trauma fühlen, sonst wird es niemals real und kann daher auch nicht verarbeitet werden.

6. Sprich darüber!

Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid. Wenn du Menschen in deinem Umfeld hast, die dir zuhören und mit dir gemeinsam das Geschehene wertfrei besprechen können, kannst du dich glücklich schätzen. Aber es gibt auch Profis, die dir hier wertvolle Hilfe leisten können. Wenn du dir keine Therapie leisten kannst oder dich bei dem Gedanken daran unwohl fühlst, gibt es kostenlose Hotlines und Beratungsstellen, Gesprächsoasen und verschiedene Einrichtungen, die dir verlässlich ihr offenes Ohr leihen. Wenn du anonym bleiben möchtest, bietet dir natürlich auch das Internet in zahlreichen Foren die Möglichkeit, dich mit Leidensgenoss*innen auszutauschen. Dafür musst du nicht einmal das Haus verlassen. Der Erfahrungsaustausch hat aber noch einen anderen entscheidenden Vorteil: Du bist nicht nur gezwungen, die traumatischen Geschehnisse in Worte zu fassen. Du ermutigst damit auch andere Menschen, die vielleicht noch nicht die Zuversicht und Stärke aufbringen konnten, sich ihrem Trauma zu stellen. Wenn deine Geschichte nur einem Menschen als Inspiration dient, hast du Großartiges vollbracht. 

7. Sei bereit, das Trauma loszulassen

Die Entscheidung, sich einem Trauma zu stellen, ist immer der erste wichtige Schritt in Richtung Loslassen. Doch du musst dich letztendlich auch bewusst dafür entscheiden, nicht mehr an den schlimmen Erinnerungen festzuhalten wie an einer unsichtbaren Nabelschnur. Vielleicht sind sie für dich immer ein Stück Kindheit, von der du sonst nicht allzu viel mitnehmen konntest. Ein Trauma ist aber keine patente Rückendeckung für die Zukunft, im Gegenteil. Es empfiehlt sich sehr, gerade den Schritt des Loslassens mit einem kleinen Ritual zu verbinden. Du kannst zum Beispiel das Erlebte auf einen Zettel schreiben und ihn in einem Aschenbecher verbrennen. Die Vergangenheit löst sich dann sprichwörtlich vor deinen Augen in Rauch auf. Wenn du sportlich bist, erklimme einen Berg und vertraue deinen Erfolg dem Gipfelbuch an, so vorhanden. Du kannst aber auch einfach nur einen Moment lang innehalten und dich bei höheren Mächten für die Kraft und Stärke bedanken, die dir diesen entscheidenden Schritt ermöglicht haben. 

8. Gestalte deinen Neubeginn

Wer es aus eigener Kraft geschafft hat ein Trauma hinter sich zu lassen, hat definitiv einen Neustart verdient. Setze ruhig auch für diesen Schritt ein sichtbares Zeichen. Reise an einen Ort, der für dich von Bedeutung ist, zünde – wenn du gläubig bist – in einer besonderen Kirche oder an einem Wallfahrtsort eine Kerze an oder gönn dir einen neuen Haarschnitt. Was auch immer dir spontan in den Sinn kommt, um deinen Neubeginn zu zelebrieren, wird das Richtige für dich sein.

9. Eliminiere die letzten Reste 

Es kann durchaus immer noch sein, dass Spuren deiner Kindheitserlebnisse deinen Weg kreuzen. Das können Fotos und andere Erinnerungsstücke sein, aber auch Menschen, die dich permanent an dein Trauma erinnern. Du bist nicht verpflichtet, dein Seelenheil für jemanden oder etwas aufs Spiel zu setzen. Wenn dich Fotos am Heilungsprozess hindern, vernichte sie. Wenn es Menschen sind, brich den Kontakt zu ihnen ab oder beschränke ihn auf das absolut Notwendige. Menschen und Orte kann man verlassen, wenn sie uns daran hindern, ein glückliches Leben zu beginnen. In erster Linie sind wir uns selbst und unserem Glück verpflichtet.

10. Zeit, über dich hinaus zu wachsen

Traumata hindern uns nicht selten lebenslänglich daran, uns wunschgemäß zu entfalten und unser Leben in vollen Zügen zu genießen. Sie sind wie ein lästiger und mächtiger Klotz am Bein, der uns immer wieder am Boden hält, wenn wir eigentlich abheben sollten. Nun ist es so weit: Du hast dich deiner Vergangenheit gestellt, jetzt ist es Zeit für die Zukunft. Mache an dieser Stelle gerne wieder eine Liste mit Unternehmungen und Vorhaben, Reisen, Kursen oder anderen Plänen, die du bislang immer auf die lange Bank schieben musstest. Nun ist die Zeit gekommen, über dich hinaus zu wachsen.

Trauma und Schmerz: Zwei, die gelebt werden wollen

Es ist niemals einfach, sich den schmerzhaften Dingen im Leben zu stellen. Verdrängung kann eine Zeit lang hilfreich sein, vor allem dann, wenn wir noch zu jung sind, um das Erlebte einordnen zu können. Im Erwachsenenalter jedoch drängen sowohl unterdrückte Gefühle als auch verdrängte Traumata der Kindheit irgendwann an die Oberfläche. Schlimme Erlebnisse der Vergangenheit hindern uns so immerwährend, im Leben voranzukommen. Sie werfen lange Schatten, die schwer auf unserem Seelenfrieden lasten. Traumata und Schmerzen haben einen gemeinsamen Nenner: Sie müssen aktiv und bewusst erlebt und gefühlt werden, um sie endlich ad acta zu legen. Das ist absolut keine leichte Angelegenheit und sollte, wenn möglich, unter professioneller Begleitung stattfinden. Wer diesen Weg nicht gehen kann, wird auf ewig im Gefängnis der Vergangenheit ausharren müssen, ohne jemals wirklich die Fülle der Zukunft genießen zu können.