7 bisexuelle Stereotypen, die aufgegeben werden müssen

Keine Frage von entweder oder 

Bisexuelle Menschen stehen in der allgemeinen Wahrnehmung nach wie vor in einem etwas diffusen Licht da. Die Öffentlichkeit schwankt zwischen totaler Akzeptanz und völliger Ablehnung. Die LGBTQ-Bewegung der letzten Jahre konnte zwar einiges an Aufklärungsarbeit leisten. So ganz „geheuer“ ist vielen Zeitgenoss*innen die Tatsache jedoch immer noch nicht, dass man Männer und Frauen gleichermaßen anziehend finden kann. Dabei ist diese naturgegebene Unentschlossenheit gar nicht so selten. Immerhin 3 Prozent der Bevölkerung in Deutschland gaben im Zuge einer Umfrage aus dem Jahr 2020 zu, sich zu beiden Geschlechtern hingezogen zu fühlen. Sigmund Freud, der Vater der modernen Psychoanalyse, beharrte überhaupt auf dem Standpunkt, dass jeder Mensch die Veranlagung in sich trägt, tendenziell Liebe und Lust für Männer und Frauen zu empfinden. Beide Bereiche sind auch im Fall der bisexuellen Liebe ein weites Land. Dennoch wäre es in unserer aufgeklärten und bemüht politisch korrekten Zeit höchste Eisenbahn, die Menschen als das anzunehmen, was sie sind und wie sie sich vor allem selbst empfinden, sehen und präsentieren. Einige Ansichten sind alte Hüte, mit denen schleunigst aufgeräumt gehört. Sieben solcher antiquierter Stereotypen stellen wir dir hier vor, die im 21. Jahrhundert eindeutig ausgedient haben:

1. Bisexualität existiert nicht

Diese Behauptung verdankt die LGBTQ-Community einer Studie aus dem Jahr 2005. Die Fragen damals waren so ausgerichtet – ob absichtlich oder unabsichtlich – dass das Ergebnis die Forscher*innen zu dem Schluss gelangen ließ, dass jeder Mensch im Endeffekt ein Geschlecht bevorzuge, auch wenn er auf dem Weg zu dieser Erkenntnis Beziehungen zu beiden unterhalten hatte. Daraufhin hielt sich jahrelang das Gerücht, Bisexuelle wären entweder hetero-, homosexuell oder handfeste Lügner. Korrekt hingegen ist: Früher oder später finden auch Bisexuelle die Partnerin oder den Partner fürs Leben oder zumindest für einen Lebensabschnitt. Nur weil dieser dann eine Frau oder ein Mann ist, hat sich die Person nicht endgültig für ein bevorzugtes Geschlecht „entschieden“ und darauf (für immer) festgelegt. Wer offen für eine neue Perspektive ist und seine eigene Sexualität nicht als in Stein gemeißelt betrachten kann, wird eher zu dem Schluss gelangen, dass Sigmund Freud vielleicht doch eher recht behalten sollte. Frauen finden immer wieder andere Frauen attraktiv, ohne gleich ihren Partner oder Ehemann für diese zu verlassen. Männer können beste Kumpel haben, mit denen sie mehr verbindet als nur der Sport oder die wöchentliche Kneipenrunde. Ein Leugnen der Spielform „Bisexualität“ ist allein schon vom Standpunkt der Wahrscheinlichkeit aus betrachtet Unsinn.

2. Niemand ist vor ihren Annäherungsversuchen sicher

Wie alles Fremde schreckt die Vorstellung von Bisexualität intolerante Zeitgenoss*innen erst einmal vorsorglich ab. Zu viele Mythen kursieren und zu unvorstellbar ist das Bild, das sich vor dem geistigen Auge in den Köpfen der Menschen abzuzeichnen vermag. Wer Männer und Frauen sexuell interessant und erotisch findet, kann sich dann ja quasi wie an einem lebenden Selbstbedienungsbuffet nach Herzenslust bedienen. Kein Mensch entkommt diesen lüsternen Personen, die – weil sie es sich ja aussuchen können – nichts anbrennen lassen. Hier wir vermutlich Bisexualität mit Promiskuität verwechselt, und selbst dieser „Vergleich“ hinkt noch. Tatsache ist, dass bisexuelle Frauen und Männer den gleichen hohen Anspruch an Liebe und Partnerschaft in sich tragen, wie hetero- oder homosexuelle. Auch sie sind wahlweise auf der Suche nach einem heißen Flirt, einer dauerhaften Partnerschaft und natürlich nach der großen Liebe. Es ist für sie nur eben von vornherein kein Ausschlusskriterium, ob dieser Jemand männlich oder weiblich ist.

3. Das ist nur eine Phase

Das Entdecken der eigenen Sexualität findet in mehren Lebensabschnitten statt. Von den ersten kindlichen Erkenntnissen darüber, dass Mädchen und Jungs anders aber nichtsdestotrotz irgendwie interessant sind, bis hin zur Bilderbuchfamilie können einige Phasen der Um- und Neuorientierung auftreten. Am stärksten ausgeprägt ist das sich Befassen mit der eigenen Sexualität sicher in der Pubertät und dann später noch einmal zwischen Ende 30 und Mitte 40. Was gerne fälschlicherweise als „Midlife Crisis“ abgetan wird, läutet nämlich nach C. G. Jung, einem Schüler und späteren Berufskollegen von Sigmund Freud, die Phase der Individuation ein. Es handelt sich dabei weder um eine Krise noch um eine Form von Rebellion, sondern – endlich! – um die Erkenntnis, wer wir eigentlich sind um immer schon sein wollten. Bisexualität als Teil der eigenen Persönlichkeit anzuerkennen, ist also kein zeitlich befristetes Phänomen, sondern Teil des Erwachsenwerdens, das in sexueller Hinsicht manchmal eben länger dauern kann.

4. Bisexuelle bevorzugen offene Beziehungen

Nur weil man mehr Möglichkeiten der Beziehungspflege hat als andere Menschen, muss das nicht zwangsläufig bedeuten, alles gleichzeitig haben zu wollen. Auch unter bisexuellen Menschen gibt es Personen, die eine ganz traditionelle Zweierbeziehung anstreben. Wer offen für beide Geschlechter ist, muss also nicht unbedingt offene Beziehungen bevorzugen. 

5. Eine Ménage à trois von Zeit zu Zeit muss sein

Dieselben Missverständnisse, die für den Stereotyp aus Punkt 4 verantwortlich sind, unterstellen bisexuell veranlagten Menschen auch gerne, Dreiecksbeziehungen oder – rein auf den sexuellen Aspekt bezogen – einen mehr oder weniger flotten „Dreier“ wann immer möglich Wirklichkeit werden zu lassen. Dass es sich hierbei um eine Spielart handelt, die keine sexuelle Orientierung per se ausschließt und umgekehrt, von hetero- und homosexuellen Frauen und Männern genauso sehr oder genauso wenig gewünscht wird, bleibt beim Scheren über diesen Kamm völlig unberücksichtigt. Übrigens ist auch der Umkehrschluss zu einfach und schlichtweg falsch: Ein heterosexueller Mann, der sich von seiner Frau ein prickelndes erotisches Dreigespann mit einem Mann wünscht, muss nicht notwendigerweise gleichgeschlechtliche Neigungen verspüren. Es gilt also: Unter Erwachsenen ist alles erlaubt, was allen Beteiligten gefällt. Von einem spezifischen Abenteuer oder Experiment Rückschlüsse auf die sexuelle Orientierung zu tätigen, ist kurzsichtig und viel zu einfach gedacht.

6. Menschen mit bisexuellen Neigungen sind in der Minderheit

Hier liegt die Crux ein wenig darin begraben, dass Umfragen darauf beruhen, dass Menschen die Wahrheit sagen. Allein, sie tun es nicht oder wissen es tatsächlich nicht besser. Der Großteil der Menschen wird sich sicher nach wie vor als heterosexuell einstufen, gefolgt von der stärksten „Minderheit“ der Homosexuellen. Die Spielarten, die außerdem noch ihren berechtigten Platz am Regenbogen finden, sind hingegen schwer zahlenmäßig zu erfassen. Außerdem stellt sich die Frage, wie sinnvoll das Hin- und Herschieben von Zahlen und Statistiken im Zusammenhang mit Sexualität überhaupt ist, da es im Endeffekt immer Menschen sind, von denen keiner wichtiger oder unwichtiger als ein anderer sein sollte.

7. Bisexuell veranlagte Partner*innen sind untreu

Auch hier werden wieder Promiskuität und Nymphomanie mit der sexuellen Orientierung verwechselt. Treue oder Untreue ist keine Frage des bevorzugten Sexualkontakts. Bisexuelle Menschen leben und pflegen ihre Beziehungen nicht anders als hetero- oder homosexuelle auch. 

Männer, Frauen und die gelebte Vielfalt

Es wird noch viele Regenbogenparaden brauchen, um der LGBTQ-Bewegung mit jenem Respekt entgegenzutreten, den jeder Mensch verdient. Die Diskriminierung aufgrund der eigenen sexuellen Orientierung sollte schon lange der Vergangenheit angehören und eigentlich gar kein Thema mehr sein. Doch auch hier sind wir noch immer zu stark mit den Rollenbildern verhaftet, die unsere Gesellschaft seit Menschengedenken prägen. Soziale Kontrolle, anerzogene Verhaltens- und Sichtweisen und nicht zuletzt das gesellschaftliche Umfeld, in dem wir aufwachsen, bestimmen hauptsächlich, wie tolerant wir unseren Mitmenschen begegnen.