6 Dinge, von denen Therapeut*innen wünschten, wir wüssten sie

Therapeutinnen sind auch (nur) Menschen

Der Weg in eine Therapie fällt den meisten Menschen alles andere als leicht. Einmal beschritten, erweist er sich mitunter als steinig und schmerzhaft, kann im Endeffekt aber tatsächlich eine alles entscheidende Wende im Leben der Betroffenen herbeiführen. Therapien sind keine Kurzstrecke. Sie sind begleitende Maßnahmen und Hilfestellungen über einen längeren Zeitraum hindurch. Dass dabei auch eine Art persönliche Beziehung zur/m Therapeutin entsteht, ist kein Wunder. Vielmehr ist ein vertrauensvolles Miteinander sogar der Schlüssel einer erfolgreichen Therapie. Nur wenn die Chemie stimmt, kann an den Problemen effizient und nachhaltig gearbeitet werden. Trotzdem gibt es noch immer viele Mythen, die den Begriff „Therapie“ umkreisen. Viele Menschen lehnen diese wichtige Form der Hilfestellung grundsätzlich ab, weil sie sie als Eingeständnis von Schwäche betrachten. Manche sehen Therapien immer noch als pseudowissenschaftlichen Hokuspokus an. Aber es gibt noch einiges mehr, was in Sachen Therapie unklar und missverständlich ist. Über folgende sechs Tatsachen sollten wir alle besser Bescheid wissen, um Therapeut*innen ihre Arbeit in Zukunft zu erleichtern:

1. Jedes Gefühl ist gut und richtig

Mit Gefühlen ist das ja ohnehin so eine Sache. Manche Menschen leben jedes einzelne davon bis zum Anschlag aus. Andere wiederum ziehen ihre Unterdrückung und Verdrängung vor. Freude, Lust und Leidenschaft werden grundsätzlich als „positiv“ wahrgenommen. Trauer, Angst, Scham und Zorn landen hingegen automatisch in der Schublade mit der Aufschrift „negativ“. Eine der Kernaussagen jeder Therapie hingegen ist: Alle Gefühle haben ihre Berechtigung und dürfen daher auch empfunden und wahrgenommen werden. Wer sich seinen Emotionen nicht stellen kann oder möchte, für den wird der Weg einer Therapie ein langer und qualvoller sein. Die Therapeutinnen können letztendlich nur mit dem arbeiten, was ihre Patientinnen ihnen zur Verfügung stellen. Konkret heißt das: Wer in der Therapie immer noch meint, seine Gefühle unter Verschluss halten zu müssen und das perfekte Bild zu präsentieren, tut sich selbst keinen Gefallen damit. Im Gegenteil: Man verschwendet die eigene Zeit und gutes Geld, aber auch die Zeit der Therapeut*innen, die zwar nach Stunden bezahlt werden, in dieser Zeit aber vielleicht jemand anderem helfen könnten, der ihre Hilfe wirklich zulässt.

2. Ohne Ehrlichkeit sind Therapien Zeitverschwendung

Zwischen Therapeutin und Patientin herrscht absolute Vertraulichkeit. Nichts, was in den Sitzungen besprochen wird, dringt nach außen oder wird weitererzählt. Nur auf dieser Grundlage kann eine Therapie gelingen. Vielen Menschen fällt es trotzdem schwer, absolut ehrlich alles zu berichten, was auf ihrer Seele lastet und sie bedrückt. Meist sind es jedoch gerade Umstände oder Taten, die wir lieber vergessen oder ungeschehen machen würden, wegen denen wir eine Therapie anstreben. Lügen und kleinere Unwahrheiten sind den meisten von uns übrigens ins Gesicht geschrieben. Die Therapeut*innen verfügen über keinerlei hellseherische Wirkung, wenn sie bemerken, dass wir flunkern. Das Gerücht, hier wären ganz spezielle Fähigkeiten vorhanden, die in unsere Seele blicken ließen, hält sich leider auch sehr hartnäckig. Fazit: Es bringt absolut nichts, im Rahmen einer Therapie zu lügen oder mit wichtigen Informationen hinterm Berg zu halten. Unser Gesichtsausdruck und unsere Körpersprache verraten uns im Nu.

3. Eine Therapie ist keine „Reparatur“

Leider funktionieren Menschen nicht wie Maschinen oder Autos. Einmal in die Werkstätte und danach ist alles wieder in Ordnung, ist nicht die Art, wie eine Therapie uns helfen kann. Menschen können nicht repariert werden aus dem einfachen Grund, weil sie nicht „kaputt“ oder „beschädigt“ sind. Wer Hilfe im Rahmen einer Therapie sucht, braucht hauptsächlich einen objektiven Input, aber keine psychische Generalsanierung. Niemand wird nach Abschluss einer Therapie ein anderer, neuer oder besserer Mensch sein. Man wird genau derselbe sein, nur mit der Möglichkeit, sein Leben nun klarer zu sehen und allein weitermachen zu können. Eine Therapie bietet hauptsächlich Hilfe zur Selbsthilfe an. Die eigenen Probleme können uns irgendwann so dermaßen über den Kopf wachsen, dass wir den sprichwörtlichen Wald vor lauter Bäumen nicht mehr sehen. Ein/e Therapeutin kann mit uns gemeinsam einen Weg heraus aus diesem emotionalen und mentalen Labyrinth finden. Eine Route einfach vorgeben – ähnlich einem Navigationsgerät – können Therapeutinnen aber nicht. Jeder Mensch ist ein Individuum. Was für Person A funktioniert, kann für Person B genau das Falsche sein.

4. Auch ein kleiner Fortschritt ist ein Fortschritt

Der Dreh- und Angelpunkt jeder Therapie ist das Erzielen eines Fortschritts. Wenn die Patient*innen diesen bewusst wahrnehmen können, ist schon viel gewonnen. Auch hier gilt wieder: Es geht nicht um Perfektion und das Finden einer Patentlösung, mit der ab sofort dann alles gut wird. Oft reicht es für den Anfang schon, ein Verhaltensmuster zu erkennen, das uns den Alltag erschwert, welches aber relativ leicht hinterfragt und geändert werden kann. Selbst wenn sich nach den ersten Terminen nur ein Gefühl von Erleichterung einstellt, endlich mit jemandem sprechen zu können, ist dies schon ganz klar als Fortschritt zu werten. Mit der Zeit kommen dann die Aha-Erlebnisse und Erkenntnis-Momente, die ganz klar als Bereicherung und echte Weiterentwicklung wahrzunehmen sind.

5. Eine Therapie ist immer interaktiv

Wer bei „Therapie“ an eine Art professionelles Kaffeekränzchen denkt, bei welchem die/der Therapeutin ihr Expertinnenwissen teilt, hat leider Beratung mit Therapie verwechselt. Eine reine Beratung kann man immer in Anspruch nehmen, auch bei mentalen oder emotionalen Problemen. Kostenlose Angebote gibt es dafür inzwischen genug. Allerdings ist diese Form der Begleitung immer nur eindimensional und lässt die Klientinnen in ihrer Komfortzone verweilen. Eine Therapie hingegen beruht auf dem Prinzip des Dialoges. Die verschiedenen Methoden, die im Rahmen einer Therapie zum Einsatz kommen, reichen von Rollenspielen über Schreib- und Maltherapie bis hin zu Aufstellungen und Hypnotherapie. Der Mittelpunkt jedoch ist das aktive Zuhören. Dieses setzt jedoch voraus, dass die Patientinnen gesprächsbereit sind.

6. Die Chemie muss stimmen

Viele Therapeutinnen bieten ein kostenloses Erstgespräch an. Dabei können sich beide Seiten einen ersten Eindruck verschaffen. Wenn Patientin und Therapeut*in nicht auf derselben Frequenz operieren und man keinen Draht zueinander findet, macht eine längerfristige Therapie keinen Sinn. Die Vorstellung, in regelmäßigen Abständen vor diesem Menschen sein Innerstes auszubreiten, sollte uns ein angenehmes, sicheres Gefühl vermitteln. Wer sein Gegenüber nicht leiden kann oder sich unverstanden oder bevormundet fühlt, sollte weitersuchen.

Hilfe von außen braucht Unterstützung von innen

Jede Therapie ist immer nur so gut, wie Patient*innen dies zulassen. Sie ist keine schnelle Lösung, kein Hexenwerk und vor allem nichts, das man passiv konsumieren kann wie ein Stück Kuchen oder eine Zigarette. Wer bereit ist, sich professionelle Hilfe zu suchen, muss in erster Linie bereit sein, sich seinen Dämonen zu stellen. Das können größere oder kleinere Baustellen sein. Manches Ausmaß wird wahrscheinlich erst im Rahmen der laufenden Therapie zu erkennen sein. Im Grunde verhält es sich so wie in jedem anderen Bereich unseres Lebens auch: Wer wirklich willens ist, findet einen Weg aus dem persönlichen Dilemma. Wer nicht will, findet eine Ausrede. Darüber sollte man sich jedoch im Klaren sein, bevor man Zeit und Geld in leere Kilometer investiert.