Reden ist Silber, Schweigen ist Gift
Narzissten können auf eine breite Palette von Psychospielchen und miesen Tricks zurückgreifen, um ihre Opfer zu paralysieren und gefügig zu machen. Ihr Charme und ihr gewinnendes Wesen sind die Eintrittskarten in das Herz und leider auch das Leben vieler ahnungsloser Mitmenschen. Sie beherrschen die gesamte Klaviatur emotionaler Erpressung, von Zuckerbrot bis Peitsche ist alles dabei. Sie agieren nach dem Belohnungssystem, sparen aber natürlich auch nicht mit Strafe, denn die muss schließlich sein, wenn man sich nicht erwartungsgemäß verhält. Eines ihrer Lieblingsfolterinstrumente ist das Schweigen. Warum Narzissten das Schweigen als Waffe einsetzen, möchten wir dir hier gerne kurz vorstellen. Es gibt nämlich tatsächlich gleich sieben gute oder eigentlich schlechte Gründe, warum völlige Nachrichtensperre ein so probates Mittel im Kampf um die Vormachtstellung innerhalb einer Beziehung ist:
Plötzliche Funkstille macht uns verrückt
Narzissten lieben es, mit der geistigen Gesundheit ihrer Opfer zu spielen. Sie brauchen dafür manchmal nicht einmal einen triftigen Grund. Unser Nervenkostüm zu strapazieren, kann gelegentlich auch nur ein bloßer Zeitvertreib für sie sein. Das Schweigen kommt ihnen für diese Form der Psychofolter besonders gelegen. Egal, was wir uns am anderen Ende der toten Leitung zusammenreimen: Unser Narzisst kann alles davon abstreiten, weil nichts davon wirklich stattgefunden hat, außer in unserer Fantasie natürlich. Nicht zu wissen, woran man bei einem Menschen ist, den man liebt und dem man vertraut, kann unseren Verstand tatsächlich lähmen wie ein schleichendes Gift. Besonders am Anfang einer Beziehung macht uns Funkstille im Zeitalter der totalen Kommunikation auf allen Ebenen schier wahnsinnig. Wir denken an einen Unfall, eine Krankheit oder einen anderen ernstzunehmenden Zwischenfall, den Verlust des Smartphones oder unserer Telefonnummer: Alle, wirklich alle dummen Ausreden erfinden wir vorab schon dafür, warum sie oder er sich einfach nicht meldet. Die naheliegendste – keine Lust darauf – kommt uns überhaupt nicht in den Sinn. So ein Verhalten ist nicht nur unhöflich, es zeugt von ernsthaften sadistischen Zügen an einer Person. Man lässt uns dieserart emotional verhungern und dumm sterben, und beides haben wir nicht verdient.
Wer das Gespräch verweigert, hat die Kontrolle
Das Wort erteilt zu bekommen, verfolgt uns schon seit unserer Schulzeit. Mit großmütigen Gesten erhalten wir Sprecherlaubnis. Später im Leben wird es in formellem Rahmen immer einen Moderator oder eine Diskussionsleitung geben, die das Wort erteilen und für Ruhe im Karton und einen zivilisierten Ablauf sorgen. Privat hingegen sollten wir reden dürfen, wann und wie uns danach ist. Wer uns mit der Stummtaste abstraft, will uns seine Überlegenheit und Macht demonstrieren. Sie oder er hat es dann in der Hand, wann wir Gehör finden und wann nicht. Wie Welpen oder ungezogene Kinder werden wir so auf unsere Plätze verwiesen, wo wir geduldig darauf warten dürfen, wieder aus der Versenkung hervorgeholt zu werden.
Man will dich abhängig machen
Schweigen ist ein perfides Instrument, um uns psychisch an die kurze Leine zu legen. Wir erkennen instinktiv die Taktik, die hinter diesem Wechselbad der Kommunikation steckt. Verhalten wir uns erwartungsgemäß und sind „brav“, werden wir mit Aufmerksamkeit belohnt. Scheren wir hingegen aus oder sind wir unartig in den Augen des Narzissten, folgt eisiges Schweigen auf dem Fuße. Die kalte Schulter ist innerhalb einer Beziehung wie ein Rammbock, der immer dann zum Einsatz kommt, wenn wir vom vorgegebenen Kurs abweichen möchten. Irgendwann speichert unser Unterbewusstsein diesen Mechanismus und beugt sich den Vorgaben.
Schweigen sagt: Du bist keine Antwort wert
Narzissten schweigen auch häufig, weil sie uns keiner Antwort für würdig befinden. Wir stören ihre Kreise, sind nicht auf ihrem Niveau unterwegs und sollten ihrer Meinung nach nicht einmal dieselbe Luft atmen dürfen wie sie. Menschen, die so denken und handeln entsprechen ganz deutlich den Persönlichkeitsmerkmalen typischer Narzissten, die sich in ihrer Überlegenheit sonnen und sich für zu gut für diese Welt befinden. Ihre Mitmenschen herabzuwürdigen, indem sie sie gegen eine unsichtbare Wand laufen und die Stille für sich sprechen lassen, ist eine ihrer einfachsten Übungen.
Strafe muss sein
Schweigen ist eine hervorragende Form von Bestrafung. Entweder, weil wir inakzeptables Verhalten gezeigt, oder gewünschtes Verhalten verweigert haben. Um zu bekommen, was sie möchten, ist Narzissten kein Trick der Welt zu schäbig oder zu infam. Wer ihr Programm nicht duldsam mittragen möchte, eine eigene Meinung vertritt, die von ihrer abweicht oder sie kritisiert, wird mit totaler Funkstille bestraft, die sich über Tage hinziehen kann. Auch sehr beliebt: passiv-aggressives Verhalten bei physischer Anwesenheit. Die narzisstische Person ist zwar bei uns, äußert sich aber nur sehr einsilbig. So ein Verhalten ist nicht nur destruktiv für jede Beziehung, es eignet sich auch ganz fantastisch dazu, um die bessere Hälfte in den Wahnsinn zutreiben. Die Narzissten hätten dann ihr eigentliches Ziel wieder einmal erreicht.
Dein Wille soll gebrochen werden
Wer einmal schwer verliebt war und mit der kalten Schulter abgestraft wurde, weiß, wie verzweifelt uns diese Taktik irgendwann werden lässt. Wir könnten das Telefon an die Wand werfen, uns selbst öffentlich geißeln für alles, was wir vermeintlich falsch gemacht haben und würden alles und noch mehr dafür tun, um ein Lebenszeichen von unseren Angebeteten zu erhalten. Wir betteln, flehen und bitten bis zur Selbstzerfleischung auf allen uns zur Verfügung stehenden Kanälen um ihre oder seine Aufmerksamkeit. Wenn wir dann letztendlich das in Tränen aufgelöste Häufchen Elend sind, dessen Wille erfolgreich gebrochen wurde, ist der Narzisst an einem seiner diabolischen Ziele angelangt.
Tote Leitung, weiße Leinwand: Alles ist möglich
Was das Schweigen so brutal und effizient macht, ist die Unendlichkeit der Optionen, die wir herauslesen und hineininterpretieren können. Narzissten lieben es, uns an unserem eigenen Verstand zweifeln zu lassen. Sie verdrehen uns das Wort im Mund und sorgen dafür, dass wir weder unserer Erinnerung noch unserem eigenen Urteilsvermögen vertrauen. Wer schweigt hat immer recht, weil es keine Fakten gibt, auf die sich jemand später berufen könnte. Schweigen ist keine Beleidigung, kein Übergriff, keine Demütigung oder ein verbaler Tiefschlag. In manchen Bereichen gilt das stumme Ausharren als Zustimmung, wieder andere Zusammenhänge lassen es als Desinteresse und Neutralität der Situation gegenüber verstehen. Der Provokateur dieser misslichen Lage – der Narzisst oder die Narzisstin – hält sich so alle Möglichkeiten offen und kann im Anschluss daran aus dem Vollen schöpfen. Die so entstandene Situation ist wie eine Schachtel voller Geschenke, deren Wert nur ein wahrhaft narzisstisches Gehirn zu schätzen weiß.
Fazit: Wer das Sagen hat, ist klar
Im Grunde dient das Schweigen der Abklärung, wer die Vormachtstellung innerhalb einer Beziehung hat. Die Redewendung „das Sagen haben“ kommt nicht von ungefähr. Wenn jemand uns immer wieder mit dieser miesen Taktik gefügig machen möchte, sollten wir schleunigst das Weite suchen. Kommunikation ist das Herzstück jeder gesunden Beziehung. Bewusst herbeigeführtes, demonstratives Schweigen hingegen ist der Kern einer durch und durch toxischen Verbindung, aus der es irgendwann kein Entkommen mehr gibt. Wer wissen möchte, ob seine Beziehung eine Zukunft hat, rechnet mit einer Antwort auf alle seine Fragen. Keine Antwort zu bekommen, ist an Deutlichkeit nicht zu überbieten.